Haarige Angelegenheit oder: Die Leiden des jungen «Theater»-«Kritikers»

Südpol Luzern, 28.05.2016: Man ging hin, schaute nach vorne und ging wieder. Theater ademessi. Performance ademessi. «Hair» ist der logische Abschluss von fünf Hollywoodexpeditionen, die versprachen, was sie hielten. Oder so. Und monatlich grüsst das re-reflexive Anti-Theater.

Highlight 1.0: Der Trailer von «Hair» in doppelter Geschwindigkeit – Selten so gelacht. Ist alles doppelt so schnell doppelt so lustig? Wenn die Flüchtlingskrise und überhaupt alle Konflikte doppelt so schnell vorbei wären, wäre das doch auch ganz lustig. Oder? Vorwarnung an die Leserinnen und Leser: Das, was jetzt folgt, ist der Versuch, einen Artikel über einen nicht artikulierbaren Abend zu schreiben. Daniel Korber und Dominik Wolfinger wollten das normale Wir-machen-eine-Performance-und-dann-schreibt-der-Herr-Theaterkritiker-eine-Kritik-Spiel nicht spielen. Der Herr Theaterkritiker spielt deshalb auch ein anderes Spiel: Weniger Poker, denn eher Jenga. Mit der Gefahr, dass mit einem Wort plötzlich alle Textbausteine und die Persönlichkeit des Herr Theaterkritikers in den Weiten des Web verstreut liegen.

Erste Notiz: Momentsalöpplen ist kein Verb. Jetzt schon. Dani Korber ist ein Momentsalöppler: Man nehme eine beliebige Situation, stelle Daniel Korber hinein und warte ein paar Sekunden, bis sich zur Situation die Komik gesellt. Das Gute daran: Korber macht aus jeder Situation das Beste. Das Schlechte daran: Was, wenn die Situation nichts hergibt? Dominik Wolfinger ist kein Momentsalöppler. Er ist ein behutsamer Denker, Kritiker, Kulturanalytiker, der heute Korbers musicalistische «Hair»-Essays rezensiert. Schade nur, dass man ihn den ganzen Abend akustisch fast nicht versteht. Seine bassbaritonsche Stimme lässt die Bündner (?) (Nachtrag: Liechtensteinschen) Akzentuierungen gänzlich im hinteren Teil der mittleren Halle des Südpols verhallen. «Vo kuur obenabe» und irgendwas von der postironischen Zelebrierung der postpostironischen Zelebrierung. Und nein, das ist nicht kantonsrassistisch. Wartet nur, was noch kommt. Von wegen N-Wort.

Zweite Notiz: Das Paprika-Popcorn geht um. (Notiz an mich innerhalb der zweiten Notiz: Iss kein Performancepopcorn. «Esches ächt süess oder salzig?» Es wurde bereits von geschätzen 160 schweissigen Händen angefasst – salty it is.) Raschel–raschel. Schwitz–Schwitz. Das Paprika-Popcorn geht um.

Dritte Notiz: Ou, gerade das standardperformanceminimalistische Setting begutachtet, da fällt mir ein: Ich habe «Hair» nicht gesehen. Macht nichts: Dominik Wolfinger fasst den Film für uns zusammen. Supi-dupi! Wie die Stirn, so seine Zusammenfassung: Glänzend!

Highlight 2.0: Der Zürcher Rapper Rotchopf freestylt in der ersten «Hair»-Interpretation: «Ech ben em Bett en Teger, ond han sone grosse Schwanz wiene Ne … krophile!» Hihihi, Hahaha, Huhuhu – Kichertheater. Kicher.

Erkenntnis Nr. 1: Alle «Hair»-Inszenierungen sind schlecht.

Erkenntnis Nr. 1.1.: Wenn man «Hair» mit weniger Kitschliedern, weniger Blümchen-Sozialismus oder Revolutionsnostalgie und mit mehr klarsichtigem Pessimismus inszenieren würde, wäre die «Hair»-Inszenierung gut.

Erkenntnis Nr. 2: Die GSoA (Gruppe Schweiz ohne Armee) und das Schweizerische Militär sind beides Kehrseiten derselben ideologischen Münze «Erkenntnis» Nr. 2.2.: Weshalb ist es eigentlich noch nicht gang und gäbe, mit Videos auf schwierige Fragestellungen zu antworten?

Erkenntnis Nr. 08/15: Vor dem Stück auf die Toilette gehen. Das Gute an Daniel Korbers und Dominik Wolfingers Theaterperformances ist: Man meint, nie wieder eine Theaterkritik schreiben zu müssen / können. Das Schlechte ist: Man muss trotzdem eine schreiben. Und kommt sich strohdumm vor. Diese Stücke würden doch gradsogut für sich alleine stehen, selbstreflexiv, diskussionsanregend und gemeinschaftsorientiert wie sie sind. Na ja, was man nicht alles für die hiesige, untersubventionierte Kultur tut. Hier habt ihr eure Kritik, verdammt. Labt euch an ihr, druckt sie aus, hängt sie auf, verbrennt sie, macht doch sowieso, was ihr wollt!

Hier endet die von unserem Kulturteil.ch-Autoren Heinrich Weingartner per Mail zugeschickte Theaterkritik. Für die nachträgliche Zusendung des Rests war er bislang nicht erreichbar. Wir präsentieren ihnen stattdessen – Sie ahnten es – den Trailer von «Hair» in doppelter Geschwindigkeit (beim Video aufs Einstellungsrädchen klicken, auf Speed, auf 2x, voilà. Falls es nicht funktioniert, HTML 5 installieren. Bitteschön.):  

https://www.youtube.com/watch?v=tC0FRKPuZM4          

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Was? Sie sind immer noch hier? Ich dachte, Sie hätten schon längst weggeklickt. Diesen Brunz kann man doch nicht lesen. Ok: Ab jetzt die richtige, konventionelle und konstruktive Theaterkritik, versprochen! Hippie kommt von hip, angesagt, dem Trend folgend. Die 1960er-Hippies waren genau so Mitläufer wie es die heutigen Hipsters sind. Nur hatten die damals das Pech, von einer Blümchen-Ideologie instrumentalisiert und anschliessend belächelt zu werden. Ach, ich lobe mir das heutige, sinnentleerte Hipstertum. «Hair» sei heute nicht mehr inszenierbar, Hippies seien out. Und dann inszeniert man «Hair» und gibt sich als Hippie. Für Dani Korber ist jedes Theaterstück ein Tasten, ein Ausprobieren, ein Abenteuer. Er ist ein Happy Hippie. Er ist happy, aber ist er auch ein Hippie (Zu Beginn des Stücks bezeichneten sich Korber und Wolfinger noch als verwöhnte Wohlstandsidioten)? Paprika-Popcorn, von geschätzten 320 Schweisshänden gewürzt. Nein, ich will, kann nicht mehr! Raschel–raschel. Weitergeb–weitergeb. Schwitz–Schwitz. Man solle doch bitte die Türen öffnen, die Lüftungen anlassen, Lärm, Revolte, Korber: «Ich kann mit Lüftungen nicht arbeiten». Kicher–kicher, hihihi, hahaha, huhuhu. Harmonie und Verstehen, Sympathie und Vertrauen im Überfluss. Harmony and understanding / Sympathy and trust abounding / No more falsehoods or derisions. This Is the Age of Aquarius! Musical in meinen Ohren! Die Karten sind auf dem Tisch, I’m just here to have some fun. Und dann: Vorhang auf für das mittlerweile schon konventionelle Unkonventionelle, der Aus-Dem-Publikum-Eingeweihte «Banker» Thomas, ein Wunder von einem Menschen. Stellen Sie sich vor, Wes Anderson hat ein Kind mit Marco Fischer. Das ist Thomas. Er scheisst die Theaterleute vor lauter Enttäuschung zusammen – angeblich habe er die heutige Aufführung gekauft – und spielt offensichtlich den Aus-Dem-Publikum-Eingeweihten. Und er singt «Where Do I Go» aus «Hair». Musical in meinen Ohren! Raschel–raschel. Schwitz–Schwitz. Das Paprika-Popcorn geht um.

Dani Korber momentsalöpplet: Man solle sich doch bitte zum letzten Hollywood-Classics, dem Publikumswunsch, «Auf den Facebooks und den Interwebs» informieren. Hihihi, hahaha, huhuhu. Das Paprika-Popcorn ist leer. So und jetzt «Ei-bin-ich-ein-lustiger-Kritiker-Modus»-aus: «Hollywood Expedition Classics» ist zukunfsträchtiges, innovatives und unterhaltsames Eventtheater mit einem … nein, zwei, drei, vier, fünf Drehs! Etwas vom Interessantesten, das je die Südpoler Bühne bespielen durfte. Was folgt? Dani Korber goes Bild mit Ton oder Wolfinger goes Freie-Szene-Theater? Beides wäre witzig und folgerichtig. Und in fünzig Jahren dann so die endgültige Erkenntnis: «Jede Nachinszenierung von Korbers und Wolfingers Hollywood-Expedition-Classics ist zum Scheitern verurteilt.»

So und jetzt «Ei-bin-ich-ein-Schleimscheisser-und-prätentiöser–Pseudojourni»-Modus aus: Das war kein Theater. Das waren Daniel Korber und Dominik Wolfinger, die improvisieren, musicalisieren (mit kurzerhand zusammengestelltem, beachtlich standfestem Ensemble) und dekonstru … ach, scheiss auf diese grossen Wörter, die gar nichts mehr bedeuten. Zieht euch aus, tanzt, schwitzt, singt, spielt, fickt und … nehmt den 14er-Bus nach Hause, schaltet das Hirn aus und den Fernseher ein. Dann werdet ihr sicher nie ein Hippie.   Die gedankliche Dreifaltigkeit zum Theater-(& Kritik-)Abschluss:

Der Mindfuck «Wievell esch ächt ez gschtellt gsi ond wievell ned?»

Der Abturner «Das chanech au. Hoffentlech esch d’Party em Club donde besser.»

Der Upturner Hollywood Expedition Classics Nr. 6:

«Und täglich grüsst das Murmeltier», SA 25. Juni, Ort noch offen. Aber checkt eure Facebooks und die Interwebs.