Grosse Russen am Zaubersee

KKL Luzern/Schweizerhof, 15./16.05.2015: Neun Konzerte in fünf Tagen widmete das Luzerner Sinfonieorchester (LSO) im Rahmen des Festivals «Zaubersee» der russischen Musik, ihren Komponisten und Interpreten. Seit der ersten Ausgabe 2012 wurde das Profil kontinuierlich geschärft und der aktuelle Zyklus wartete mit drei Highlights auf.

Am Freitag ertönte im KKL der symphonische Höhepunkt des Festivals: Ein Extrakonzert in memoriam Maya Plisetskaya (1925-2015). Im letzten Satz des Balletts «Die Dame und das Hündchen» von Plisetskayas Ehemann, dem Komponisten Rodion Shchedrin, und in Ravels Boléro war die Tänzerin auf einer Leinwand zu sehen. Live spielte das LSO nur die Shchedrin-Ballettmusik. Hier klangen die Streicher flink und präzise, das Oboen-Duo interagierte virtuos und so hörte man das Hündchen durch die Partitur tänzeln, mal zahm, mal bissig, immer agil. (Das Hündchen stellte sich im Film als muskulöser Tänzer heraus.) Darauf folgten eine Preisverleihung, der Boléro-Film und eine Schweigeminute für eine der grössten Ballerinas des 20. Jahrhunderts. In der zweiten Hälfte ein wohltuend leichtfüssiger Zugang zu Tschaikowskys fünfter Symphonie, die gern als «Schicksalssymphonie» bezeichnet wird: Ganz der tänzerischen Dramaturgie des ersten Teils folgend, wurde das Schicksal spielfreudig begrüsst und munter tanzte Chefdirigent James Gaffigan auf dem Podium zu den monumentalen Klängen. Das viersätzige Werk schien – auch wegen der zügigen Tempi – kompakt und dicht. Besonders in Erinnerung bleibt das hübsche Seitenthema im ersten Satz, als man sich kurz im Blumenwalzer aus dem Nussknacker wähnte. Am Samstagmittag gab der russische Pianist und Dirigent Mikhail Pletnev im Schweizerhof Tschaikowskys Klaviersonate G-Dur op. 37 sowie das Kinderalbum op. 39 zum Besten. Maestro Pletnev reiste mit eigenem Flügel an und entlockte ihm schillernde Farben, die wegen seiner Zurückhaltung nie grell sondern wie hinter einem zarten Schleier glitzerten. Quasi als Vorgriff auf die Miniaturen des Kinderalbums betonte Pletnev die lyrischen Qualitäten der Sonate, gestaltete die Phrasen mit beinah improvisatorischem Gestus, doch immer in einem Atemzug. Die 24 Stückchen des Kinderalbums trug er mit zauberhafter Ernsthaftigkeit gegenüber dieser kindlichen Gefühlswelt vor. Nach tosendem Applaus, einer Zugabe und neuerlichem Beifall winkte Maestro mit einer bescheidenen Geste ab und verschwand hinter seinem Flügel: Das war russische Pianistik at it’s best. Dank Plisetskaya stand der Samstagabend wieder unter dem Zeichen des Tanzes. Der zweite Fokus lag auf der Romeo und Julia-Thematik, die seit den Bearbeitungen durch Tschaikowsky und Prokofjew auch russischen Gefühlsgehalt ausstrahlt. Im ersten Teil spielte das Klavierduo der Geschwister Labèque eine West-Side-Story-Bearbeitung für je zwei Klaviere und Perkussionisten. Katia und Marielle machten ihrem Ruf alle Ehre, die Fetzen flogen mit hohem Spassfaktor. Der zweite Teil stand unter dem Motto «Klassik meets Breakdance» – hat das nicht auch ein Energydrink-Hersteller gemacht? Halb so schlimm, solche Crossover-Projekte funktionieren, und die Breakdance-Crew tanzte die Romeo und Julia-Story hervorragend. Zusammen mit der von David Chalmin komponierten Musik für zwei Klaviere, Schlagzeug und Gitarre war das tolle Abendunterhaltung. Russland kann man mögen oder nicht, und man kann Viktor Vekselberg und sonstige Oligarchen als Donatoren in der Front Row goutieren oder nicht. Fakt ist: Aus dem grossen Land im Osten kommt wunderbare Musik.