Göttinnen und ihre Schattenseiten

Box des Luzerner Theaters, 18.01.2017: Sieben glorreiche Sängerinnen dienten Julia Wissert und ihrem Team als Inspiration sowie Motiv für das Stück «Göttinnen des Pop». Erzählt werden Geschichten über Probleme, Probleme, Probleme – Rassismus, Sexismus, Gewalt –, welche die Heroinnen und ihre heldinnenhaften Stücke prägten. Leider schien ein Faktor zu fehlen: Zeit.

«Beyoncé ist für mich Sex. Beyoncé ist für mich Beyism. Beyoncé ist für mich Jay-Z!», rezitieren drei Schauspielerinnen selbstbewusst strahlend, im Hintergrund eine Diashow mit Bildern von Queen Bey. Jene Popgöttin und ihr Album «Lemonade» sind die Hauptinspiration, der Start für das Theaterstück «Göttinnen des Pop», welches eine Art sozialkritisches Musical darstellt. Beyoncé Knowles, diese Jahrhundertstimme, vom Vater zum Star gedrillt, mit Destiny's Child die Spitze erobert, solo dann die Welt – ab 2011 aus Streitgründen ohne den Manager-Papa, sondern mit eigenem Team. Und spätestens seit dann bekannt als knallharte Geschäftsfrau, die mit Ehemann Shawn Corey Carter alias Jay-Z ein Milliardenimperium aufgebaut hat und dieses managt wie keine zweite. 

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Hm. Eine Geschäftsfrau als Inspiration für den «Versuch einer unterhaltsamen Untersuchung von politischen und gesellschaftlichen Themen in der Popmusik», wie Regisseurin Julia Wissert im Interview mit Jonas Wydler verlauten lässt? Beyoncé, seit 2016 «plötzlich» ein Sinnbild für den modernen Feminismus, breit zelebriert auf Hochpreis-Tourneen und dem Werk «Lemonade», mitsamt eigener Beyism-Religion. Geht es bei ihr um Selbstvermarktung und Verkaufszahlen oder tatsächlich edles Gedankengut aus dem vermeintlichen «Nichts»? Zufällig dann auftauchend, wenn wenig später im gleichen Jahr Stars wie Alicia Keys oder Schwester Solange Knowles ebensolche inspirierte Alben herausbringen? «Lemonade», eine Platte, hinter der mit wenigen Ausnahmen in allen Funktionen und Features Männer stehen? Fragen, Fragen, Fragen. Wissert geht im Interview gut auf diese ein, das Theaterstück hingegen gibt keine Antworten. Lieber einen Bey-Song als Einstieg aus den Boxen dröhnen lassen, zu dem die Akteurinnen wild dancen. Und schon erfolgt der Switch, das Stück geht zu den Kapiteln über. In diesen sieben, jeweils als «Freiheit 1», «Freiheit 2», «Freiheit 3» etc. bezeichnet, erfährt die Zuschauerschaft, was die popmusikalischen Schritte zum Phänomen Beyoncé Knowles sein könnten.

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Der Reihe nach werden Aretha Franklin, Whitney Houston, Billie Holiday, Nina Simone, Mahalia Jackson und Miriam Makeba thematisiert. Respektive vor allem deren Kämpfe: Franklin und Liebesgeschichten, Houston und Drogen, Holiday und Missbrauchsfälle, Simone sowie Makeba und politisches Engagement, Jackson und ... das hat sich vermutlich niemandem so recht erschlossen. Der mit der Zeit nervige Fokus liegt auf den altbekannten Problemen dieser starken Frauen, schält störend wenig heraus, was sie denn stark gemacht und zu ihrem Ikonenstatus verholfen hat. Das Thema Freiheit bleibt so zwar vernachlässigt, kann aber immerhin Statements hervorbringen. Abgesehen davon werden unkommentiert zahlreiche, gut recherchierte Infos in den Raum geschmissen, Songtexte rezitiert, Lieder performt oder leicht uminterpretiert. 

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Das funktionierte stellenweise ordentlich. Der Miriam Makeba-Song «Ask the Rising Sun» liess das Gesangstrio in bester Form aufblühen. Und die Mahalia Jackson-Szene, in welcher Wasserkrüge auf einem Tisch ausgeschüttet wurden (eine Anspielung auf «Wade in the Water»?), während Anna Rebecca Sehls lediglich «Sometimes I feel like a motherless Child» in einer weinerlichen Version rezitierte, gefiel in ihrer stillen Art. Warum aber Jackson überhaupt für diese Reihe an Musikerinnen ausgewählt wurde, ist eine andere Frage, fällt ihr Bekanntheitsstatus doch im Vergleich stark ab neben den anderen Vertreterinnen. Hier zwar pausierend, bot die Band um Dennis Blassnig (dr), Adina Friis (p) und Jonas Künzli (b, synth) ansonsten durchgehend einen guten Job. Lediglich beim Basspart wäre gelegentlich ein E-Bass statt Kontrabass von Vorteil gewesen – Aretha Franklin-Stücke ohne Chuck Rainey, Jerry Jemmott oder Tommy Cogbill? Unvorstellbar. Leider missfiel der Sound-Mix; hier gibt’s Verbesserungspotenzial, gerade punkto Lautstärke: Wenn das Keyboard von Bass und Drums verschluckt wird oder die Stimmen im Playblacktune verschwinden, muss gepegelt werden. Der Höhepunkt: das Billie Holiday-Stück «God Bless the Child», gesungen von Alina Vimbai Strähler mit betörend warmen Timbre. Verdienter Szeneapplaus. Abgesehen vom manchmal etwas holprigen Englisch glänzte sie zudem in ihrer leidenschaftlichen Performance von Nina Simones «Sinnerman»: «Power»!

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Power, das fehlte hingegen zu grossen Teilen beim Gesang von Sofia Elena Borsani. Aretha Franklins «You make me feel», dieser Soul-Übersong in solch einer dürftigen Version (von Anfang bis Schluss, mit dem misslungenen Versuch einer Steigerung), das grenzte an Fremdscham: falsche Töne, keine Kraft, wenig Ausstrahlung. Auch bei den Folgestücken ging die sonst so talentierte Aktrice vergleichsweise unter. Zu wenig Gesangsstunden? Selbige Frage traf auch auf Sehls zu, denn die sang mit der oben erwähnten Ausnahme häufig nur in den Gruppenparts mit und wurde dort komplett überhört. Zwei von drei Schauspielerinnen singen und spielen schlecht Songs von Popgöttinnen – «Wir haben versucht, in der Musik eine eigene Interpretation zu finden. Es soll nicht wie der Versuch wirken, das nachzusingen oder so zu sein wie sie», meint Wissert im Interview. Von diesen Interpretationen war zu grossen Teilen wenig bis gar nichts zu spüren. Es wirkte, als ob grundsätzlich die Zeit gefehlt hat, dieses Theaterstück wirklich fertig zu konzipieren: Da muss am Gesang gearbeitet werden, es müssen die Interpretationen der Songs viel stärker ausfallen. Auch inhaltlich ging das Bühnenwerk eher in Richtung «Wikipedia-Theater», wie es ein anwesender Musiker ausdrückte, denn wirklich tiefsinnige Auseinandersetzung mit den wichtigen, äusserst spannenden Mythen um diese Frauen. 

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Jenes Fazit erfüllt wiederum auch die Figur Beyoncé: Da sieht auf den ersten Blick alles so schön und spannend aufgemacht aus, wie diese Vorstellung mit ihren herrlich gekleideten Akteurinnen und Akteuren und dem angenehmen, vielseitig gestalteten und genutzten Bühnenbild. Aber wirklich tiefsinnig erscheint dieses Bild bei genauerer Betrachtung dann doch nicht – schnell wirkt vieles effekthascherisch, oberflächlich und unbeeindruckend. Es ist zu bezweifeln, das Wissert und ihr Team diesen Eindruck vermitteln wollten: Wieso ziehen eine Beyoncé und ihre durchaus intelligente Interpretation von Feminismus so viele Leute an? Um solche Fragen zu beantworten, hilft der starke Fokus auf Probleme auch nicht besser. Mehr Improvisation! Mehr Innovation! Mehr Interpretation! Hier geht’s immerhin um die Göttinnen des Pop, nicht um die Göttinnen des Flop(s).

 

Team

Inszenierung: Julia Wissert

Bühne und Kostüme: För Künkel

Musikalische Leitung: Muriel Zemp

Dramaturgie: Hannes Oppermann

 

Besetzung

Sofia Elena Borsani

Anna Rebecca Sehls

Alina Vimbai Strähler

 

Adina Friis (Band)

Jonas Künzli (Band)

Dennis Blassnig (Band)

 

Bilder: Ingo Höhn (ausser Bild 1, zvg)

 

Weitere Aufführungen noch bis am 7. April unter www.luzernertheater.ch/goettinnendespop