Gesungene Geschichten und unverblümte Melodien

Schüür, 27.09.2015: Das Kölner Trio AnnenMayKantereit spielte gestern ein ausverkauftes Konzert. «Wir haben noch nie hier gespielt und ihr seid so viele Menschen», befand Sänger Henning May. Besänftigung des Sonntags-Blues? Die Folge eines Hypes? Oder was war da am gestrigen Abend los in der Schüür?

(Pressefotos: Martin Lamberty)

Die sonntägliche Depression mochte zwar für einige den Beweggrund des Konzertbesuches dargestellt haben. Die Spontanität wurde  an diesem Abend jedoch nicht belohnt: Tickets gab es keine mehr zu kaufen. Der Grossteil schien derweilen aus Neugierde in die Schüür gepilgert zu sein. Wer sind diese drei Musiker, die in den letzten Monaten einen solch rasanten Aufstieg hingelegt  haben? Manche sind möglicherweise mal über das Lied «Barfuss am Klavier» gestolpert und trauten ihren Augen kaum, als sie im dazugehörigen Video einen eher schmächtigen, jungen Mann am Klavier sitzen sahen. Die enorm tiefe und raue Stimme von Henning May ist unumstritten ein zentrales Merkmal der Musik von AnnenMayKantereit. Man täte der Band jedoch unrecht, sie lediglich auf das gesangliche Talent ihres Sängers zu reduzieren, denn auch auf instrumentaler Ebene weisen die vier Kölner eine beträchtliche musikalische Vielfalt auf. Es finden sich Einflüsse aus Blues, Rock, Pop wie auch Singer/Songwriter-Elemente, je nach Tempi und Kombination ihrer Instrumentenpalette, bestehend aus akustischer und elektrischer Gitarre, E-Piano, Schlagzeug und Bass. Die gelegentlich von Christopher Annen gespielte Mundharmonika, sowie die von May betätigte Melodica verleihen dem klanglichen Gesamtbild zudem einen Country-Einschlag und sorgen für melodiöse Abwechslung.

Aber auch sonst verfiel man beim Konzert keineswegs der Langeweile, denn jedes Lied von AnnenMayKantereit erzählt gleichsam auch eine Geschichte. Es sind Geschichten über Liebe, Freundschaft, Wohnen, Leben — Themen, die auf den ersten Blick etwas abgenutzt scheinen. Henning May schaffte es jedoch, diese irgendwo schon mal gehörten Inhalte mit sarkastischen Brüchen und zynischen Wortspielen zu versetzen, so dass man als Zuhörer stets schmunzelnd hängenblieb. Die kleinen Anekdoten und Dialoge aus dem Alltag wirkten ehrlich und persönlich, zeitweise etwas nichtig. Doch genau wegen dieser Einfachheit, kamen sie einem so vertraut vor. Das Ausruhen nach dem Aufstehen. Die drei halb vollen Tassen Kaffee auf dem Schreibtisch. Der leere Kühlschrank. Ddas schmutzige Bad — und das Einzige, was den Mitbewohner interessiert, sind die Blumen auf dem Balkon. «Alter echt jetzt?», fügt May an.

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Dazwischen gibt es auch einfach mal Honig auf die Ohren, wie beim Liebeslied, das May für seinen Vater geschrieben hat: «Hab keine Heimat, ich hab nur dich. Du bist Zuhause für immer und mich».  Während der kleinen Impro-Sequenz — um mal etwas Dampf abzulassen, bei der ganzen Konzertroutine — fungiert dann auch mal etwas Kritik als Liedtext: «Jetzt tut endlich mal eure Telefone weg, ihr schaut euch das Zeugs ohnehin nie wieder an! Nur der hinter euch bekommt nichts mehr zu sehn». Gut gebrüllt und vom Publikum befolgt. Lediglich ein paar Feuerzeuge werden noch gesichtet, als die Zugabe des wohl von vielen heiss erwarteten «Barfuss am Klavier» angestimmt wird. Die Band scheint jedoch diesem kurzen Moment der Sentimentalitätsbekundung zu trotzen und beendet den Abend mit dem etwas vehementeren Stück «21, 22, 23». Ob es an der authentischen Attitüde, dem ungekünstelten Humor oder an den geradlinigen Texten liegt — die vor kurzem noch auf der Strasse spielenden Musiker hinterliessen in der Schüür einen sympathischen Eindruck. Ihre unverblümt daherkommende Musik scheint, trotz dem sich teilweise etwas wiederholenden Konzept, auf offene und zufriedene Ohren zu stossen, wofür sich die drei zum Schluss auch bedankten: «Wir mögen es, wenn man uns so gut zuhört». Dafür gibts ein «Jö». Der Abend wurde  übrigens von der englischen Musikerin Findlay eröffnet. Diejenigen, die sich auf sanfte Singer/Songwriter-Klänge eingestellt hatten, wurden eines Besseren belehrt. Samt Band stimmte die extravertierte Sängerin die bereits ziemlich beträchtlich ausfallende Menge mit forschem und rauem Rock’n’Roll sowie einer energischen Stimme ein. Das ihr Set dabei aussergewöhnlich umfassend ausfiel, schien somit die wenigsten zu stören.