Genre? Chamber Groove!

Neubad Luzern, 10.11.2016: Im Keller dampft es. Nasse Jacken hängen zum Trocknen über den Stuhllehnen. Draussen regnet es – diesen kühlen Novemberabend könnte man auch auf dem warmen Sofa verbringen. Wer aber trotz der nassen Kälte in den Neubadkeller geradelt ist, hat Glück: Mit Steve! spielt eine innovative Band, die durch spielerische Präzision besticht und sich erfreulicherweise schwierig bis gar nicht in ein Genre einfügen lässt.

Steve! wurde 2013 von vier spielfreudigen Studienfreunden an der Musikhochschule gegründet. Klavier, Klarinette(n), E-Bass und Schlagzeug bilden die wohltuend akustische Besetzung. Sie lässt eine grosse Bandbreite an Konfigurationen zu: Von klassisch kammermusikalisch arrangierten Passagen bis hin zu explosiver freier Improvisation ist vieles möglich – und manchmal passiert alles gleichzeitig.

Melodik und Minimalismus

«Phase» eröffnete den Abend. Im balladesk-verträumten Stück spielt Christoph Martys Klarinette die zentrale Rolle. Wenngleich das Stück in punkto meditativer Gleichförmigkeit im Verhältnis zu den folgenden Tunes aus der Reihe tanzte, wurde mit dem dezidierten Fokus auf ausgeprägte, expressive Melodik ein zentrales Element von Steves Musik vorgestellt. «Maschinenbau» passte da schon eher in das selbsterfundene Genre der Band: Rasante Kontraste, ausgeklügelte Rhythmik und Patterns, bei denen sich die Assoziation zu Steve Reichs bahnbrechendem Minimalismus der 1960er- und 70er-Jahre förmlich ins Ohr drängte. Später würde Marcos Gonzalez, eigentlich Pianist aber heute Steves Bassist, dann verraten, dass sich der Bandname tatsächlich auf den Herrn Reich bezieht.   https://www.youtube.com/watch?v=fTmhIpZr5is   Wie eklektisch die Steve-Spieler durch die Kompositions- und Musikgeschichte grooven, erwies sich in «Hommage à Pérotin». Pérotin war seinerseits ein berühmter Komponist – zu seinen Schaffenszeiten um das Jahr 1200 herum war er auch als «Perotinus magnus» bekannt. Unter tiefen Atemzügen in die Bassklarinette flochten die Steves in dieser Hommage einen durchsichtigen Kanon. Klavier, Klarinette und Bass blieben einander immer dicht auf den Fersen und dieses zarte Gewebe gehörte wohl zu den intimsten Momenten, die im Neubadkeller möglich sind.

Beissende Cluster und mächtige Rides

Bei «Gravel Road» ertappte sich die Autorin unvermittelt bei dem Gedanken: «Wow, lange nicht gehört, so viele Tonhöhen und Melodien in dieser sogenannten Neuen Musik!» Das ist natürlich ein unsinniger Gedanke, denn wie oben festgestellt gehört es zu den Steve’schen Vorzügen, sich nicht explizit in ein vermeintliches musikalisches Schema einbetten zu lassen. Im Tune, der laut Gonzalez einer wichtigen Person aus seinem Umfeld gewidmet sei, wurde der Sound nachdenklich, ja fast beklemmend. Der Pianist Christoph Boner eröffnete das Stück mit schön intonierten, beissenden Clustern, die er nach und nach über die ganze Tastatur auseinanderfaltete. Schade nur, dass mit dem Einsatz der mächtigen Rides, schwer wie chinesische Tamtams, das Klavier zu sehr in den soundtechnischen Hintergrund trat. Vielleicht geriet der Neubadkeller bei so viel instrumentatorischer Raffinesse an seine akustischen Grenzen. Erwähnt sei an dieser Stelle auch Clemens Kuratles gross angelegtes Schlagzeugsolo, in einem Stück, dessen Titel nicht Eingang in die Notizen gefunden hat – wieder ein intimer Moment, wenn auch ein extrovertierter.

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Toller Typ, dieser Steve!

In der sogleich nach dem letzten Stück durch die Zuhörer geforderte Zugabe trat dann eine weitere Inspirationsquelle ins Rampenlicht: Der französische Komponist Olivier Messiaen, der im 20. Jahrhundert mit seinen neuartigen Kompositionstechniken ganze Musikergenerationen beeinflusst hatte. So auch Steve: Kokett und Schalkhaft spielen die Musiker eine Art Coverversion von «Intermède», die Zitate sind unüberhör- und der Spassfaktor unübersehbar. Nach dem Konzert muss man sagen: Toller Typ, dieser Steve! Mal ist er liebevoll, ja zärtlich, mal energisch und resolut. Immer für Überraschungen gut, aber auch geduldig. Humorvoll noch dazu, wenngleich er für sein lustiges Gesicht etwas Aufwärmzeit braucht. Die Genrefrage lässt sich am Ende noch weniger beantworten als am Anfang, aber eigentlich hat Steve die Antwort schon einmal selber gegeben: Chamber Groove. That’s it.