Geister der Gegenwart

MS Saphir, Luzern, 08.09.2018: Das Luzerner Theater eröffnet die Spielzeit 18/19 mit einer theatralischen Schifffahrt. «Traumland» von Kornel Mundruczó und Kata Wéber ist eine Reise über den Vierwaldstättersee ins Unbekannte im Offensichtlichen. Intim und bildgewaltig.

Fotos: Ingo Höhn

Die Sonne geht langsam unter in Luzern, als sich eine Gruppe Passagiere auf dem Abfahrtssteg 5 neben dem KKL langsam auf das dort anlegende Schiff, die MS Saphir, begibt. Die Stimmung ist ausgelassen, und obwohl es sich eigentlich um einen Theaterbesuch handelt, kann man sich der Schifffahrteuphorie nicht erwehren. Mit den letzten Sonnenstrahlen ergattert sich noch eine letzte Passagierin schluchzend einen Platz, die Motoren des Schiffes dröhnen bereits unter den Füssen des Publikums. Und mit dieser Frau beginnt das Stück.

Es ist die Geschichte von Tina (Kata Wéber), einer jungen, einsamen Frau, die hinter der Schnelllebigkeit unserer Zeit zurückzubleiben scheint, die in ihrem Leben irgendwie den Anschluss verpasst. Nach einem Zugunglück in Luzern trifft sie den Fotografen Roger, und entschliesst sich, dem Fremden bei seinem Projekt zu helfen. Zusammen erkunden sie Luzern und Umgebung, und dabei kommen sie sich näher. Was wie eine Liebesgeschichte beginnt, verformt sich im Verlauf des Stücks immer weiter. Es geht um das Vergessen, das Erinnern, um die Liebe und um den Tod. Dabei werden die Grenzen zwischen Realität und Traum, zwischen Diesseits und Jenseits, Leben und Tod immer unklarer.

«Traumland» heisst das Stück, dass die Spielzeit 18/19 des Luzerner Theaters eröffnet. Regie führt dabei der Ungar Kornél Mundruczó, dessen Filme, wie zum Beispiel «White God», international ausgezeichnet wurden. Zum ersten Mal inszeniert er nun ein Stück in Zusammenarbeit mit dem Luzerner Theater. Ein Stück, das eigens für diesen Anlass von der ungarischen Autorin Kata Wéber, die auch die Hauptrolle spielt, geschrieben wurde, und den Auftakt einer längerfristigen künslterischen Auseinandersetzung der beiden Künstler mit Luzern bilden soll.

Hier der Trailer zu White God:

 

Und nun zurück nach Luzern:

Die Geschichte wird über Kopfhörer von einem unbekannten Erzähler (Tilo Werner) wiedergegeben, dessen körnige Stimme vom ersten Satz an in den Bann zieht. Eine zweite Ebene bildet eine Diashow, bei der die Reise der Protagonisten nachverfolgt wird. Immer wieder wird mit musikalischen Einlagen und Auftritten von Tina die Szenerie aufgebrochen.

Traumland

Es wird viel sinniert über die Bedeutung von Bildern, und die Fähigkeit diese zu interpretieren, über das genaue Hinschauen, um Dinge zu sehen, die man vielleicht gar nicht sehen kann. Und so starrt man gebannt auf die Fotos, die ganz einfache Dinge zeigen, vertraute Orte in der Umgebung, bekannte Ecken, und Bänke, auf denen man bestimmt selbst schon mal verweilte. Man lässt sich ein auf diese Schönheit im Offensichtlichen, auf diese Geschichten, die sich nur bei einer bewussten Betrachtung zeigen. Einige der Fotos erzeugen wiederum ein voyeuristisches Gefühl, strotzen vor Intimität, man will fast schon wieder wegschauen. Die Enge des Schiffes verstärkt diesen Impuls.

Und wendet man sich von den Bildern ab, realisiert man erst wieder, dass man ja in einem Schiff sitzt. Man schaut aus dem Fenster und weiss nicht sofort, wo man überhaupt hingefahren ist. Zu sehr hat man sich auf die vorgegebenen Bilder konzentriert. Man fragt sich, ob man vielleicht an einer anderen Stelle etwas verpasst hat. Je nach dem wo man sitzt, hat man bessere oder schlechtere Aussichten auf das Geschehen. Im Publikum sieht man immer wieder einige, die sich vom hin- und herdrehen die Verspannungen im Nacken lösen müssen. Dias auf der einen, Musik und Geister auf der anderen Seite.

Nach einem bildgewaltigen Höhepunkt ausserhalb des Schiffes, der disktutiert und interpretiert werden will, neigt sich diese Reise dem Ende zu. Die MS Saphir legt an, das Gerede geht sofort wieder los, und auf noch etwas wackeligen Beinen verlässt das Publikum das Schiff. Unter dem stillen Blick der Geister an Bord.

Weitere Vorstellungen von «Traumland» heute, am 10./11./12./15./16./17./18. und 19.9. jeweils um 20.30 Uhr. Weitere Informationen und Tickets auf der Homepage des Luzerner Theater.