GeilerAsDu – Fyre Festival Diaries

PlattenWechsler, 19.09.2019: «Fyre Festival Diaries» ist das nicht mehr neue, aber trotzdem topaktuelle GeilerAsDu-Nicht-Album. Statt eines Langspielers veröffentlichen die Luzerner stetig einzelne Tracks. Bald soll es einen neuen geben – Zeit also, sich das Bisherige einmal genau anzuhören.

Teil 1: Warum es mühsam zu rezensieren ist

Die Musikwelt, die wir kennen, ist einfach. Wird ein Album angekündigt, gibt es im Rahmen der Promo-Kampagne ein paar Videoauskopplungen und dann gelangt das ganze Stück als runde Sache mit einer erwartbaren Anzahl Tracks auf den Markt. Die Rezensent*innen können dann über Spannungsbögen und Abgeschlossenheit, über Abwechslung oder Ausgewogenheit, über Highlights und Tiefpunkte mit Blick auf das Gesamtwerk schwadronieren.

Das Album-Format hat der Luzerner Originalgangster Emm bereits 2017 auf zentralplus in Frage gestellt. Und GeilerAsDu (GAD) machen aus der Theorie Praxis. Auf Facebook schrieben sie im vergangenen April: «Wir releasen ab sofort das ganze Jahr direkt aus den Studios auf unsere Playlist ‹Fyre Festival Diaries›!» Die Spotify-Playlist startete mit vier Songs, im Mai und Juni kam je einer dazu, seither ist Sommerpause. Schon bald aber soll der nächste Track folgen.

Das macht das Marketing des Kunstwerks selbst zur Kunst. Besagter Facebook-Post sagt nämlich auch: «Folgt uns auf Insta, Spotify undsoweiter, wir haben keine Ahnung wohin das führt.» Jeder Track hat seine eigene Veröffentlichungsgeschichte, es gibt keinen, der in der Gemeinschaft des Albums untergeht. Immer wieder frisch, ständig ist jetzt. Halt so, wie es in den Feeds der sozialen Medien läuft.

Kommt noch hinzu, dass GAD ihre Playlist auf Facebook und Instagram unterschiedlich begleiten. Man muss mehrgleisig fahren, will man nichts verpassen. Einen vollständigen Videoclip auf YouTube gibt’s (noch?) nicht, aber im Netz verstreute stille und bewegte Bildfragmente. Sie entspriessen unverkennbar einem visuellen Gesamtkonzept, sie packen und lassen nicht mehr los. Jeder Track hat seine eigene, wilde Bildgeschichte, doch deren umfassende Welt ist von klarer Hand geschöpft. Ein Meisterinnenstück der Filmerin Nicole Pfister.

Also: Das Nicht-Album ist eine intermediale Gruppenperformance mit zerstreuten Gleichzeitigkeiten, die sich mit unbekannter Frequenz und ohne Termin in die Zukunft ausdehnt. Aber Rezensierende denken ans Albumrezension schreiben. Das ist mühsam.

Und die Redaktion muss sich beraten, wie denn darüber geschrieben werden soll. Ist es schon zu spät? Ein einziger Text, nachdem GAD den Abschluss des Projekts verkünden? Passiert dies je? Eine Aktualisierung des Textes mit jedem neuen Track? Was ist fair gegenüber anderen Publikationen? «Verdammt, ihr Promo-Konzept geht auf, diese Schlitzohren.» Der Beschluss: Jetzt mal einsteigen. Und ein zweiter Text, wenn es verdient ist.

Teil 2: Was bis jetzt drinsteckt

Ein halbes Dutzend. Und das lässt sich klassisch track by track abhandeln.

«Sauce» fällt mit rausgestreckter Brust in die Tür: «Bang bang!» heisst es im Refrain. Wir-sind-zurück-Stimmung füllt den Raum, ohne im Text benannt zu werden. Dort geht es hässig, selbst- und fremdhämisch zu. Die Bits des Beats beissen, die Snare klatscht träg in die Halle. Rapper Luzi fährt in seinem Part mit einem Paradebeispiel für rapspezifische Klangschematik auf – über 24 Takte hält ein zweihebiger Endreim, der seine Klangqualität wandelt aber wiedererkennbar bleibt, die Strophe zusammen, während unzählige Binnenreime und Assonanzen das Innere verdichten und Kontrapunkte zur Klammer setzen. Rapper Mike legt mit expliziter, echtzeitiger Sozialkritik nach: Mark Zuckerberg, Jeff Bezos, Tim Cook und Larry Page werden beim Namen genannt, die Stichworte der Gegenwart bombardieren das Gehör.

«Albus» kommt wohlig-sphärisch daher, leicht nostalgisch, sanft optimistisch. Das passt zur Harry Potter-Referenz des Titels. Vordergründig ein Kinderbuch, eine lustige Zauberwelt mit bitterernsten Abgründen. Der Text ist eine selbstbewusste Hymne auf den eigenen Lebensstil. Im Geiste der Rapkultur wird der innere Kreis besungen: «För alli mini lüüt reservierte platz» und «lueg of dis team». Gelassenheit («möched wasser ned zo wii / lönd swasser äfach sii») und Drang nach dem Draussen («wenn di wetsch inere box entfalte / chömed dwänd emmer nöcher / moss mi schnell vo erwartige löse») stehen nebeneinander. Und ja, die Box ist natürlich auch das Standardkonzept eines Albums (siehe Teil 1).

«Curfew» heisst auf Deutsch «Sperrstunde». Das Euphorische der ersten beiden Tracks ist jetzt verloren. Man steht draussen vor der Clubtür in der Kälte des frühen Morgens, es ist noch dunkel. Der bedrückende Beat gibt Raum für jenen archimedischen Punkt des Stillstands im All, von dem aus man seine eigene Traurigkeit und die seiner Lebenswelt erblickt – beflügelt von Sebastian Meyer alias Stroms engelhaftem Hook-Gesang. Ein dumpfer Herzschlag, eine schmerzende Monotonie. Deprimiert, erschöpft, müde.

Mit «Réunir» verlagert sich der Fokus auf Zweierbeziehungen, «du» ist jetzt das dominante Pronomen. Der Beat ist frech schneidend, lüpfig säuselnd, flockig, er ist zerbrechende Zuckerglasur. Das trägt die giftige Ironie, mit der zu viel von der Partner*in abverlangt wird, selbstgefällig, vorwurfsvoll, nicht ganz angenehm. Dabei parallelisieren Luzi und Mike eingängig:

du muesch mer kä gschänk mache mösse
du muesch mer gschänk mache welle

ech wett käi komplimänt vo der ghöre
wott komplimänt vo der gspöre

Was in «Réunir» an Gemeinschaft noch übrig ist, verflüchtigt sich mit «Lo-Fi-Love» vollends: Abgrenzung, Rückzug in die Einsamkeit. Wenn es im Refrain heisst: «nome ech / nome sii», dann ist nicht die «sie» eines raptypischen Liebessongs gemeint, sondern das Sein. Es wird sensibel differenziert zwischen «gspöre» und «fühle» der Mitmenschen. Dazu ein trauriger, langsamer Beat, der an «Halbwach» erinnert.

 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 
 

?Freibad?feat. Little Miss Sunshine // OUT NOW Sp●tify&Co, du kommst klar!

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Mit «Freibad» schliesslich lockert sich die soziale Entfremdung wieder. Instrumental und Text tragen zu Beginn zwar noch die Traurigkeit der zwei vorangehenden Tracks in sich, doch schnell wird sie abgeschüttelt, das Tempo steigert sich. Überhaupt ist der Beat eine Erfrischung für die Playlist, ein neuer Weg. Dieser wird auch auf der verbalen Ebene eingeschlagen:

helikopter lueged dör dfänschter i üsi grelle boxe
neonliecht ond gin rennoviered üsi senn
vier stärne liechtmälder zäiged üsi bühni

Die Strophen der Rapper und die Hook von Little Miss Sunshine zeigen einen gegenüber «Albus» neuen, doch weiterhin verhaltenen Optimismus. Mike glänzt hier mit seiner ihn auszeichnenden Klarheit:

jetz methylphenidat
36 milligramm / es esch scho ok
pupilletäller schwarz / es esch scho ok
schaffe 24/7 / bliibe dorchgehend wach
ond am ändi fühlmi so als hätti gliich nüt gmacht

Teil 3: Warum es bis jetzt gut ist

Die Routine, mit der GAD Songs schreibt, ist ihnen anzuhören. Wo sie innerhalb eines Tracks zusammenspielen, wirkt es unverkrampft, sie übertreiben es nicht mit dem Harmoniewillen, sondern lassen ihre zwei unterschiedlichen Charaktere spielen. Das zeigt sich auch darin, dass Mike sich in klassischen 16ern bewegt, während Luzi meist 20 Takte braucht, um mit einer Strophe auf den Punkt zu kommen.

Und doch und deswegen wirkt das Zusammenspiel stimmiger als auf dem – ich kann dieses Wort ja hier jetzt eigentlich nicht benutzen – Vorgängeralbum «Turbo Mate & Kalaschnikow». Unnötig stilisiert könnte man sagen: Luzi liefert die berauschte Erkenntnis der Realität, Mike die realistische Erkenntnis des Rausches. Unnötig bildungsbürgerlich könnte man sagen: Das ist eine apollinisch-dyonisische Symbiose. Das wäre aber etwas übertrieben. (Siehe «Réunir»: «Öbertriibe esch scho easy wemmers ned öbertriibt»)

«Fyre Festival Diaries» ist bis jetzt gut, weil in den Tracks Rap-Personae erzählen, die ein Identifikationspotential über die typische Rap-Zielgruppe hinaus tragen. Auch darin begründet sich GADs Feuilleton-Affinität.

GADs Tracks sind als Hip-Hop-Musik wiedererkennbar. Sie tanzen ohne Kontaktängste unbeschwert über dem Boden der Klischees. 4/4-Takte, herkömmliche Song- und Reimstrukturen schaffen eine Vertrautheit, in der mit verarbeitbarem Sprechtempo ohne grosse Stimmverzerrungen und Murmeleien der Zuhörwille des Publikums gestreichelt wird. Das ist sympathisch und angenehm.

Das «Fyre Festival» bildet eine Brücke. Bald nach «Turbo Mate & Kalaschnikow» (Ende 2016) findet das berüchtigte Festival (nicht) statt (Anfang 2017). Im Januar 2019 erscheint via Hulu und Netflix je eine Doku darüber. Einige Wochen später kommen die «Diaries» von GAD.

Apropos Netflix und Hulu: So eine Playlist ist auch ein bisschen wie eine Serie (statt eines klassischen Spielfilms). Serien können manchmal sehr gut beginnen, aber mit der Zeit verlieren die Folgen ihre Magie. Einzelne Szenen können einen Film als Ganzes tragen. Eine miese letzte Episode kann ein ganzes Vermächtnis überschatten. Wird GAD zu GoT? Das «Fyre Festival» war ein leeres Versprechen. Was aufgebaut wurde und was dabei herauskam sind zwei verschiedene Welten. Ich bin bang gespannt.