Fumetto Comix-Festival: Achtung ansteckend!

Die ganze Stadt ist davon befallen. Von der Kornschütte mitten in der Altstadt, über Bars, Museen und Läden in den unterschiedlichsten Quartieren bis weit hinaus in die peripheren südpolaren Zonen. Das Virus FUMETTO ist vielgestaltig und besteht aus einer hyperaktiven Mischung von Bild und Text. Infizierte pilgern stundenlang vom einen Quartier ins andere und kriegen glühende Wangen, wenn sie dem Virus in die Augen schauen.

Frisch aus der Wirtszelle schreibt Andrea Portmann (Bilder: Andrea Portmann & Henriette Vogtherr)

Samstag, 28. März 16 Uhr Kunstmuseum Luzern: Vortrag des britischen Künstlers David Shrigley («my work is only funny by accident») – Stargast am diesjährigen Fumettofestival. Auf dem Bild gut sichtbar zwischen den beiden Köpfen – der Terrassensaal platzt fast. Sein bitterböser very british sense of humour macht sich bemerkbar bei seiner alles anderen als biederen Powerpointpräsentation, überall schimmert in seiner eloquent-eleganten Rede die Absurdität des Alltags und der Menschheit im Allgemeinen durch. Besonders mokiert er sich über Leute, die sich seine Sujets tätowieren lassen (beispielsweise zwei kindlich gekritzelte Socken mit dazugehöriger Bildunterschrift «socks» oder auch ein ganzes Alphabet). Nach dem Vortrag tauchen wir ins Shrigleysche Archiv der abgrundtiefen Ironie ein – im Museum gibt es einen Raum voller Inkjet-Prints seiner Zeichnungen. Da ich nicht fotografieren durfte, habe ich einige abgezeichnet:

Ebenfalls im Kunstmuseum: Yuichi Yokoyama aus Japan mit Arbeiten, die den Titel «Beeing human» tragen und alles andere als menschlich wirken. Sie sind geprägt von klaren Strukturen, Dynamiken, funktionieren als Comic ohne Worte, sind bevölkert von farblosen, ausdruckslosen Figuren, strahlen durch ihre glatte Oberfläche Sterilität aus. Ausserdem das Schweizer Elvis Studio (Helge Reumann, Xavier Robel) mit zwei riesigen Wimmelbildern, an denen man sich die Augen blutig sehen kann. Es ist zirka halb sieben – der Magen knurrt. Schnellen Schrittes und beschirmt durch den Regen hinein in die Schaltzentrale des Festivals. In der Kornschütte gibt es nicht nur hervorragende Eintöpfe und Suppen, auch Comic-Bände aus der ganzen Welt kann man sich hier mit genügend Kleingeld unter den Nagel reissen oder in einem roten, virusähnlichen Gebilde sämtliche Wettbewerbseingaben – die Vorgabe des diesjährigen Comicwettbewerbs lautete Virus – studieren – das mache ich am Sonntag.

Um 20 Uhr füllt sich die Kornschütte. Blutch und Frank Santoro zeichnen während 15 Minuten zum Thema «Adventure» um die Wette – unser wortgewandter Plauderer Jonas Raeber moderiert. Über eine Kamera wird das Entstehen der Comics auf eine Grossleinwand projiziert. Blutchs Strichführung überzeugt, wirkt wie aus der Hand gegossen, während Frank Satoro mit verschiedenen Farbstiften immer wieder etwas harzig die Figuren nachzeichnet und am Schluss auch nicht ganz klar ist, wie die Geschichte eigentlich funktioniert. Blutch überrascht auch durch seine Reaktionsfähigkeit: immer wieder unterbrochen durch den Redeschwall Raebers nimmt er kurzerhand ein neues Blatt, zeichnet einen Jonas, der einer kurzröckigen Frau verstohlen nachschaut und antwortet auf Jonas' Frage, wer denn die Frau sei: «la mère». Kurz bevor der Gong schlägt haut er noch einen drauf und malt einen Jonas im Kochtopf. BRODEL. Das hochmotivierte Publikum bestimmt mittels Klatschpegel den Sieger – unentschieden – beide Zeichner gewinnen gemeinsam eine Flasche Ru(h)m.

Und schon geht's zur nächsten Performance ins Reich der Superhelden «Hey Hey Hero» an die Rössligasse – hier haben die drei Absolventinnen der HSLU Nina Wehrle, Anna Hilti und Anita Zumbühl zusammen mit Noch-Studis eine Art 60er-Jahre-Tropfsteinhöhle geschaffen, in der es auf den ersten Blick glänzt, funkelt, und die Kulisse zur Selbstinszenierung geradezu einlädt. Tatsächlich wohnen eine Handvoll Superhelden während der Fumetto-Zeit, also noch bis nächsten Sonntag, in diesem luftig-glamourösen Environment – man kann einen Blick hinter die herausgepützelten Kulissen des Superheldentums erhaschen und beobachten, wie die Helden und Heldinnen hier putzen, arbeiten, streiten.... eine Persiflage vielleicht auch auf unsere Schaulust. Nach einem missionarischen Power-Point-Vortrag zu unserem Superhelden Jesus betritt nicht ein Minotaurus aber ein Pferdotaurus die weiss-pelzige Pornobühne und bringt transparente Plastiksäcke zum Plustern, dazu schallender Partysound, gelbe Ballons, die immer grösser werden und schliesslich PENG. Verloren geht bei der Performance die Message – welche wortwörtlich auf die verwendeten Utentsilien aufgesprayt oder geschrieben wird (ich hab ausser «durch Kraft» leider nichts lesen können, sorry).

Doch nicht genug der Performance-Euphorie. Um Zehne beginnt schon die nächste in der Galerie Pia-Anna Borner. Hier hat die kanadische Comcizeichnerin, Malerin und Musikerin Geneviève Castrée den Galeriraum in ein Geflecht von poetisch-traumwandlerischen Geschichten verwandelt. Auch das Abgründige, Alpträumerische hockt latent in diesen lieblich gestalteten Zeichnungen. Geneviève Castrée braucht ihre Ruhe. Wir müssen alle die Galerie verlassen und im Treppenhaus warten. Zeitweilig geht das Licht aus, die Situation ist mehr als skurril und fast scheint es, als würden wir hier draussen unsere eigene Performance aufführen.

Dann ist es soweit. Wir erhalten wieder Einlass in die Galerie und setzen uns auf ihre ausdrückliche Bitte hin ganz nahe zu Geneviève, die barfuss mit ihrer Gitarre in der Ecke steht und leise-melancholisch zu singen beginnt und die zaghaft artikulierten französischen Wörter mit dem Körper im Raum nachzeichnet – ein bisschen erinnern ihre Songs an Camille. Mitreissend zu Beginn, wirken die Lieder auf mich mit der Zeit wie Schlaflieder - eingelullt in meinen schlafsackähnlichen Mantel bin ich beinahe schon im Begriffe, mich zu verpuppen. Morgen ist auch noch ein Tag ...

Sonntag, 29. März, 12:30 Uhr, Hotel Löwengraben: Am meisten zu überzeugen vermag mich hier der Luca Schenardi. Er collagiert oder verändert mit kleinen Eingriffen found-footage-Material aus den Medien (Bild oben rechts), bricht mit der massenmedialen Bildproduktion und hinterfragt sozialkritisch die Mechanismen derselben. Wie schon am Samstag bei Geneviève Castrée schwingt auch hier latent etwas Unheimliches, Geisterhaftes mit. Irrationales, Hoffmanesques und Superheldisches scheint in den Künsten momentan hoch im Kurs zu sein (woran das wohl liegen mag?). Weniger durchdacht, eher etwas postmodern-beliebig wirken die Arbeiten von Alex Baladi. Im Weitblick schön, filigran, lieblich, mit japanischen Schriftzeichen versehen, locken die Zeichnungen von Daisuke Ichiba. Im Nahblick stossen sie in ihrer detailreichen Gewalttätigkeit und Überladenheit an sexuell-morbiden Phantasmorgien eher ab – Anziehen und Abstossen kann natürlich einen Reiz in sich bergen.

13 Uhr, Kornschütte: Schmöckern in der Welt der viralen Infekte. Einige Comics der jüngeren Generation haben mein Herz besonders erwärmt, der «Fruchtvirus» mit dem Terrorwald von Tony Stipanic (*1994) und der Liebesvirus von Martine Abgoso Fouda (*2002):

13:30 Uhr, Picasso-Museum: Ins Auge gesprungen sind hier insbesondere die «Little-Nun» Geschichten des Amerikaners Mark Newgarden, die durch ihre grafischen Qualitäten und ihren bodenlosen Witz bestechen. Unbedingt anschauen sollte man sich die dichten, atmosphärischen Geschichten der Israelischen Comiczeichnerin Rutu Modan: ihre Arbeit ist geprägt von politischen Implikationen, der Nahostkonflikt ist allgegenwärtig obwohl er in den Alltagsgeschichten merkwürdig ausgeklammert scheint. Eindrücklich ist bei der Präsentation ihrer Arbeiten auch, dass man Einblick erhält in den Schaffensprozess der Künstlerin, man sieht alte Schwarz-weiss-Familienfotos neben daraus schöpfenden Comicszenen. In einigen Comic-Strecken reflektiert Modan pointiert das Wesen und die Funktionsweise des Comic: Die Sprechblasen sind leer, aber durch die fein ausgearbeiteten Mimiken und Gestiken lässt sich das Gesprochene unmittelbar erahnen.

14:15 Uhr, Pfistergass-Optik, Keller, eine der zahlreichen Satellitenausstellungen: Das Fumetto-Festival ist nicht zuletzt deshalb so phänomenal, weil man immer unterwegs ist, an Orte kommt, wo man noch gar nie war, eigensinnige Verflechtungen von Räumen und künstlerischen Arbeiten wahrnimmt, eintaucht in französische, japanische, belgische, englische Sprachbrocken und sich in der eigenen Stadt plötzlich ganz woanders wähnt. Auch die Grenzen zwischen Comic, bildender Kunst, Performances und Musik werden an so einem Festival durchlässig (sonst hätte man wohl kaum David Shrigley als Stargast eingeladen, der sich nicht unbedingt als Comic-Künstler sieht) und wo Grenzen durchlässig werden, alles offen ist, pulsiert schliesslich das Leben, läuft was... wo war ich? Im Keller. Hier trifft man auf die surrealen, fein gezeichneten Arbeiten (die formidabel an einen unheimlichen Ort wie den Keller passen) der finnischen Künstlerin Amanda Vähämaki – sie sind durchzogen von einer kargen, nordischen Brise – die Geschichten fesseln durch ihre wirre Rätselhaftigkeit. In meinem Kopf stauen sich Bilder und Geschichten. Es ist Zeit für eine Pause an der frischen Luft.

Fumetto gibt's noch die ganze Woche über bis am Sonntag, 5. April. Wer mit mir über den Trend hin zum Irrationalen und Wunderbaren in den Künsten der heutigen Zeit diskutieren möchte trifft mich am:

Dienstag, 31. März in der Kapelle an der Rössligasse, wo um 19 Uhr die Performance «Mouse from another House» zur Aufführung kommt und anschliessend Stonk spielt oder am Donnerstag, 2. April während dem Fantoche-Animationsfilmfestival im Stattkino.