Fröhliche Ausmisterei

Kulturkeller Winkel, Luzern, 23.11.2017: Aus einem Hörspiel (1954) wurde ein Theaterstück (1962/1980) wurde eine frisch-frech-frohe sowie aber auch recht freie Adaption (2017). Oder anders gesagt: Im neuen Kulturlokal Winkel startet die Theatersaison mit Die Nachkommen (with a little help from their friends FetterVetter & Oma Hommage) und ihrer Bearbeitung von Fritz Dürrenmatts «Herkules und der Stall des Augias» – «Gülle»: eine muntere Ausmisterei in einem fröhlichen Spielspass. Holy shit!

Respekt müssen die jungen Wilden ja keinen zeigen. Sie können machen, was sie wollen. Und dürfen darf es das Ensemble freilich auch. So wurde ein neues Kollektiv mit dem Namen Die Nachkommen gegründet, das für frischen Wind sorgen soll. Im Rekordtempo haben sie das Ding rausgehauen. Manchmal hilft eine temporale Vorgabe. Vier Wochen für eine Idee, eine Ensemble-Bildung und ein Stück. Voilà und chapeau!

Das Motto: «Bieten wir schon Mist, dann nur einen berühmten.» Der Stücktitel «Gülle» mag den einen oder die andere auf eine falsche Fährte führen. Es geht keineswegs um «Der Besuch der alten Dame». Nicht der Ortsname ist gemeint. Es geht um Gülle im Sinn von «Mist», also Scheisse. Genau so, wie es in Friedrich Dürrenmatts Bühnentext «Herkules und der Stall des Augias» steht. Also fast.

gülle1In Elis, der Bauernrepublik, wartet die fünfte Aufgabe auf den antiken Nationalhelden Herkules. Ganz freiwillig ist es nicht. Der Herr ist nämlich pleite. Die Aufgabe ist bekanntlich jene mit dem Ausmisten. Es beginnt mit einer schönen Choreo zu einem Remix von J.S. Bachs «Air». Der Vorspruch dann wie im Original, wo unter anderem gesagt wird: «Es geht dramaturgisch nicht anders.» Der Vorhang wird gezogen, ein Venti bläst eisige Bergluft in Gesicht und Haare von Herkules und Polybios, seinem Sekretär. «Der Nebel nimmt zu», was heisst, dass am Bühnennebelmaschinenknopf gedrückt wird. Es geht noch um die vierte Aufgabe, die mit dem Rieseneber. Polybios wird zum Bergsturz-Opfer und für den Rest des Stücks an Krücken rumhumpeln.

Dann das Mist-Motiv. Augias ist nicht mehr König, sondern der Präsident des Staates und Stall-Besitzer. Im Stall wird gemolken, die Euter sind an Ketten von der Winkel-Decke baumelnde Tuben, das Weissliche strömt in Fondue-Caquelons. Herkules seinerseits will, Trick 77, die Ställe mittels Umleitung von Flüssen entmisten. Geht aber nicht, denn der Supermann scheitert an der demokratisch installierten Bürokratie, an all den Ämtern, die die Heldentat verhindern: Wasseramt, Finanzamt, aber auch Mistamt. Schöner Mist! Es stinkt zum Himmel. Der Staat bzw. sein Volk sträubt sich gegen die gebotene Reinigung. Eine Parabel zum Selber-Weiterdenken imfall.

gülle pöschtlerSonst noch so: Herkules’ Geliebte Deianeira macht sich mit Augias’ Phyleus davon im Migros-Einkaufswagen, um bald darauf gemeinsam im aufrechten Bett zu landen (inklusive Cigarettes After Sex). Vorher war noch ein Dialog in Interviewform via Funkmikrofon. Lichas hat als Herold zwischendurch Zeug zu verkünden. Sein Käppi sitzt schräg auf dem Kopf, er stellt sich vor als «de Pöschtler», dem das Postgeheimnis nicht unbedingt heilig ist. Herkules kübelt dank Mikrofon-Verstärkung überaus geräuschvoll in eine WC-Schüssel. Es tritt weiter auf: Tantalos, Direktor des gleichnamigen Nationalzirkus.

Schon ist der Mist geführt.

Dieser «Herkules» wird spätestens im Schlussmonolog des Helden zum kommentierenden Meta-Theater. Da wird nämlich unter anderem erkannt, «dass es nicht mehr der Originaltext ist». Überhaupt: «Dieser konservative Kulturpessimismus kotzt mich an.» Das wars nun, das «Scheissstück». Es darf darin, running-gagiges Markenzeichen, geraucht werden. Und die Spielenden zelebrieren ein Genderverwirrspiel, wenn Rollen jeweils vom entgegengesetzten Geschlecht übernommen werden. Ganz nach der Devise des Blur-Songs von 1994: «Girls who are boys, who like boys to be girls / Who do boys like they're girls / Who do girls like they're boys...»

Schliesslich und endlich: In der freundlichen Höflichkeitsform fallen Herkules’ besinnliche Schlussworte ans werte Publikum aus, garantiert nicht vom alten Fritz: «Ficken Sie sich alle ins Knie!» Wobei: Dürrenmatt dürfte seine Freude am Ganzen gehabt haben.

 

Nachtrag:

Einst, in grauer Vorzeit, war das der Schiesskeller der Luzerner Stadtpolizei. Dann wurde es zum Theaterraum mit Namen «Mobiles Studio», in der Ära Mundel umgetauft in «UG», jetzt «Kulturkeller Winkel». Winkel, weil an der Winkelriedstrasse.

Worum geht es? Es steht alles hier und hier.

FetterVetter & Oma Hommage & Die Nachkommen: «Güllen»
Frei nach Friedrich Dürrenmatt, «Herkules und der Stall des Augias»

Mit: Ines Amstad, Xenia Bertschmann, Hannah Boldt, Klara Förster, Michael Hirst, Noah Husmann, Sandro Niederberger

Regie: Damiàn Dlaboha
Regieassistenz: Gilda Laneve
Bühne: Elke Mulders
Dramaturgie: Béla Rothenbühler

Weitere Vorstellungen:

Fr/Sa 24./25. November, 20.00

Kulturkeller Winkel, Winkelriedstrasse 12, Luzern

© Fotos: David Inauen

 

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1.–23.12., Türöffnung 17.30, Vorstellung 18.00, Dauer 20–40 Minuten

Bar im Anschluss geöffnet