Friedrich Glauser war ein Schlitzohr!

Hotel Des Balances Luzern, 07.10.2014: Die Sprecher-Legende Peter Kner und der leidenschaftliche Literaturvermittler Hardy Ruoss führten heute einen Abend lang durch den Lebenssturm des berühmten Schweizer Autors Friedrich Glauser (Bild) und dessen Kriminalliteratur um die Kultfigur Wachtmeister Studer.

Es gibt für viele knackigere Veranstaltungsankündigungen als die eines Vortrags zur Kriminalliteratur im Saal des Hotel Des Balances. Doch die gebotene Lesung mit Referat war alles andere als zum Gähnen, sondern spannend wie ein Krimi selbst – und dies nicht etwa alleine dank des turbulenten Lebens des Schriftstellers Glauser. Hardy Ruoss und Peter Kner verstehen es, den schwungvollen Wechsel zwischen Erläuterungen und Zitaten aus Glausers Werk gekonnt zu vollziehen und spannend zu gestalten. Das Lob zum Schluss fällt von der Zuschauerseite her gar überschäumend aus, «Ein Feuerwerk war das» oder «Einfach toll!», ruft es da und dort aus dem Publikum. Die Komplimente sind angebracht, denn die Auswahl an Vorgetragenem wirkt gelungen, wenn man bedenkt, dass schon die Biographie Glausers an ein Dschungeldickicht mahnt. In zwei Stunden einen solch kompakten und zugleich anregenden Überblick zu einem Autor und dessen Krimiliteratur zu vermitteln ist daher sicherlich eine Glanzleistung. Glauser kann als eines der berühmtesten Enfants Terribles der Schweizer Literaturgeschichte bezeichnet werden. Als Sohn eines Schweizer Lehrers in Wien geboren, entwickelte er sich bald zu einem schwierigen Kind und zu einem unangepassten Jugendlichen, der schon früh mehrere Suizidversuche hinter sich hatte. In Zürich kam Glauser mit der Dada-Szene in Kontakt, entwickelte expressionistische Züge in seinem Schreibstil, verfiel aber in die Drogensucht, wurde entmündigt und steckte Zeit seines Lebens in einer Spirale aus Aufenthalten in Psychiatrie- und Strafanstalten. Das Milieu, mit dem Glauser dort in Kontakt kam, bildete die Basis für sein literarisches Schaffen. Der Schriftsteller hat einmal von sich selbst gesagt: «Vom ersten Augenblick an hab ich gefühlt: Beim Gesindel ist deine Heimat. Dort gehörst du hin.» Ruoss zeigt nachvollziehbar auf, wie in Glausers Romanen ein Weltbild mit offensichtlicher Schuld oder Unschuld fehlt, stattdessen gibt es am Schluss immer einen unschuldig Schuldigen. So sei das eigentlich Besondere an Glausers Kriminalliteratur, dass er mit Wachtmeister Studer einen Detektivhelden geschaffen hat, in dessen Welt sich das konventionelle Gut/Böse-Schema nicht einstellt. Vielmehr gründe die Spannung bei den Studer-Romanen in der unsicheren Seite des Wachtmeisters und seinem Verständnis für die Gestrauchelten, meint Ruoss. Gleichzeitig verweist der Germanist auf die manipulative Seite des Romanciers, wenn es darum geht, wie der Schriftsteller in seinen Texten in die Irre führt. Oder: wie er in seinem Privatleben funktioniert hat. Da versprach er nämlich des Öfteren Dinge, die er nicht halten konnte. «Glauser ist ein Schlitzohr», merkt Ruoss dazu immer wieder an und kann die persönliche Freude daran schlecht verbergen. Die Literaturgesellschaft Luzern schreibt auf ihrer Website, sie möchte mit ihren Veranstaltungen einen «niederschwelligen» Zugang zur Literatur ermöglichen. Hardy Ruoss, der einmal zu Glauser promoviert hat, hält diesem Gebot zweifelsohne stand. Möglich, dass seine akademische Attitüde hie und da etwas antiquiert anmutet, wenn er dem Publikum, also den «Damen und Herren» erklärt, warum jetzt Friedrich Glauser zur «grossen Literatur » gehört. Das hätten diese vielleicht selbst herausgefunden, aber die klugen Ausführungen des ehemaligen MAZ-Dozenten lassen einen über solch gefüllte Leerstellen hinwegtrösten. Zusammen mit Peter Kners Stimme, die ihre Kraft im szenischen Lesen voll entfaltet und die man sonst aus dem Radio SRF und dem Kassensturz kennt, wird der Abend den Texten Glausers gerecht und zieht die Zuhörer in seinen Bann. Nur der Wunsch nach «Alt und Jung», welche die Literaturgesellschaft gerne für ihre Anlässe begeistern möchte, scheint bei genauerer Betrachtung der sich eingefundenen Literaturfreunde noch nicht ganz in Erfüllung zu gehen. Vielleicht müsste dazu die Werbetrommel noch etwas lauter und gezielter geschlagen werden, damit es auch die etwas Jüngeren erreicht. Schliesslich ist ja auch Friedrich Dürrenmatt, dessen Kriminalliteratur als Nächstes besprochen wird, bei weitem kein überholter Begriff.

Am 28.Oktober geht die Serie der Kriminalliteratur-Lesungen mit Dürrenmatts Kommissar Bärlach in die zweite Runde.