Feuer unter dem Dach

UG Luzern, 01.10.2015: «Bin nebenan: Monologe für zuhause» von Ingrid Lausund. Der Mensch in seiner Wohnung. Wo Vasen existenzielle Probleme auslösen und Tapeten für unerreichte Ziele stehen. Ein Stück, das zwischen Tragik und Komik balanciert.

(Bilder: Ingo Höhn)

Die Wohnung als Zufluchtsort, als Vorzeigeobjekt oder Hort der Träume. In zwölf Episoden nimmt Ingrid Lausund die Abgründe, Ängste und Verunsicherungen verschiedener Menschen in ihren Wohnungen auseinander. Was bedrückend klingt, ist mehrheitlich komisch. Die Sprache der Autorin ist messerscharf, treffsicher und präzise. Sie sagt das Notwendige und nicht mehr, fordert die Zuschauer und belohnt mit trockenem Humor. Wir folgen ihr lachend in den Schrecken. Begrüsst werden wir nahezu frenetisch von den zwei Wohnungsgenossen. Sie bieten uns schon am Eingang Wein an – «90 Euro aus Frankreich» – und lassen niemanden ohne Glas in der Hand eintreten. Mit Luxus wird geprahlt, das Publikum entspannt sich, obwohl einzelne Personen direkt angesprochen werden. Aber Philipp Zingg ist auch nicht auf den Mund gefallen. Also, ein lockeres Beisammensein.

Monologe

Nun folgt Lachsalve auf Lachsalve. Besonders die junge Generation fühlt sich angesprochen. Der männliche Mitbewohner, gespielt vom freischaffenden Sven Grey, passt genau in die Zielgruppe der Möbelverkäufer, was seinen Individualismus in Frage stellt. Seine Verzweiflung wirkt genauso lächerlich wie authentisch. Das Syndrom einer ganzen Generation. Mir steigt die Schamesröte ins Gesicht. Nicht zum letzten Mal an diesem Abend. Zum Glück können wir sie weglachen. Die Episoden treffen einen Nerv. Weil sie ganz alltägliche Gefühle auf den Punkt bringen. Ein Sofa aus Individualismus kaufen, den Anforderungen der lieben Mutter gerecht werden wollen und dabei schon den eigenen nicht genügen. Andere laufen Marathon mit Prothese und ich bin immer noch hier! Hoffen, dass etwas passiert, ein Auto brennt. Oder selbst eines anstecken. Dann doch lieber vor dem Spiegel weinen und dabei gut aussehen. «Sich merken, wie es gut aussieht.» Gepflegten Zielgruppen-Sex haben. Alleine Zuhause sein! Jetzt renitent benehmen! Das verschüttete Kaffeepulver absichtlich nicht aufputzen! Den Fernseher anlassen! Am Morgen ein Bier trinken! Den Schwanz in das Marmeladeglas stecken!

Monologe4

Wir kennen diese kindischen und traurigen Anwandlungen. Das Überspitzte kaschiert nicht, wie wahr die Geschichten sind. Auch die vom leeren Kinderzimmer, von der Liebe, die zur Zwecksgemeinschaft wird und von dem Haus, das einem weggenommen wird. Das ist ein schmaler Grat zwischen Tragik und Komik, doch die Inszenierung (Maxime Mourot) hält die Balance. Es ist aber nicht nur die Sprache, die so treffend beschreibt, es sind auch die Schauspieler eine ideale Besetzung. Sie können innert Kürze zwischen verschiedensten Energielevels wechseln, finden den Ton und sind in den überzeichneten Figuren trotzdem glaubhaft. Das minimalistische Bühnenbild und die ständig adaptierbaren Kostüme (Christian Schweizer) erlauben jeder Figur, in der Szene heimisch zu werden. Auch Julia Doege ist freie Schauspielerin und gibt die betrunkene Kellnerin genauso feinfühlig wie die typische Mittelklassefrau, welche die Muslima von nebenan doch unbedingt bestärken will. In der Scheidung! Ohne Schleier sind deine Haare so schön! Du rauchst, wie lässig! Auch hier, die versteckten Vorurteile werden nicht an das Licht gezerrt, sie werden so präsentiert, dass wir lachen können. Haha. Hüstel. Da uns die Gefühle, Ängste und Ticks aber so vertraut sind, verliert das Stück auch ein wenig an Haftbarkeit. Morgen werde ich wohl nicht mehr daran herumstudieren, weil ich selbst aus dem Fenster gucke, ob ein Auto brennt. Das Stück ist eine tolle Abendunterhaltung, welche uns einen Spiegel vor die Nase hält, ohne dass wir morgen noch erschüttert wären.

Weitere Aufführungen im UG Luzern: 03.08., 08.10., 10.10., 15.10., 17.10., 22.10., 31.10.2015, jeweils um 20 Uhr.