«Es wird zum Pathos geblasen» – Grey Mole im Kleintheater. Und Erika Wagner ebenda

Das B-Sides-Festival lud ins Kleintheater, zur ersten einer Reihe von Koproduktionen. Grey Mole spielten auf: Es wurde ein grosser Abend.

Das Konzert. Kleintheater und B-Sides-Festival planen eine lockere Reihe von Koproduktionen, unter dem sinnigen Motto «B-Sides-Festival Goes Kleintheater». Grey Mole, die Formation um den legendären Blind Banjo Aregger, neu ohne Bart, eröffneten den frohen Reigen – in einer Art Subpremiere zum ersten Mal mit den Dead Sailors, einem so wohlklingenden wie wohlbekleideten Bläsersatz.

Grey Mole spielen melancholische, über weite Strecken durchaus süd-US-amerikanisch angehauchte Musik, die in ihren stärksten Momenten so klingt, als ob Tom Waits mit Calexico ein uneheliches Kind gezeugt hätte, bei dem Sandy Dillon als Hebamme zur Hand war. Mit einem grossen Instrumentarium, das von Klavier, Gitarre, Kontrabass, Schlagzeug über den erwähnten Bläsersatz und eine wilde Bassklarinette bis hin zu Lap Steel und Glockenspiel reicht, erzeugen sie dabei eine wolkenverhangene Präriestimmung, wie man sie von einheimischem Gewächs kaum je vernommen hat. Die Kompositionen sind dabei vielseitig und sorgfältig austariert, die Arrangements stimmig und von einer wunderbar subtilen Dynamik. Die Band bedient sich vieler musikalischer Klischees, die fröhlich gemischt werden: Da erklingt ein Funk mit Tubabass; die Klarinette führt den Bläsersatz durch die mexikanische Steppe, um plötzlich zu einem Klezmersolo zu entfleuchen; Blind Banjo singt die wunderbare Countryparodie«Black Rider», weder im Text noch in der Musik wird ein einziges Kauboiklischee ausgelassen.

Sehr, sehr schön, das Ganze – und Blind Banjos ausgesprochen launige Ansagen versüssen einem den Abend zusätzlich. DIE grosse Entdeckung aber war Sängerin «Sirene» Sabrina Troxler: Was für eine Stimme! Welch ausgefeilte Mikrofondynamik! Was für eine unaufdringliche Leichtigkeit, mit der sie zu den vielseitigsten Koloraturen ansetzt! Wie diese Stimme doch schmetterlingsgleich über die düstere Prärie gaukelt! Wahrlich, ein Genuss. Grey Mole spielen am 2. Juni in der Jazzkantine. Die Ausstellung. Hiervon wollte ich schon lang berichten, irgendwie gings mir immer unter. Nun aber ists höchste Zeit, denn die Bilder hängen nur noch bis Ende Mai: Die Rede ist von der einundzwanzigsten «Kunst DIN-A6»-Ausstellung im Kleintheater.

Seit 2002 organisieren Silvia Hess Jossen und Wada Jossen die «Kunst DIN-A6»-Reihe, die auf den allseits geschätzten Timbuktu-Gratispostkarten beruht. Es werden jeweils KünstlerInnen eingeladen, die Karten zu bearbeiten, das Resultat wird dann im Kleintheater ausgestellt. Die aktuelle Schau stammt von Erika Wagner, die mit einem einzigartigen Konzept zu Werke ging: In einer ersten Phase fuhr sie mit Eric «Timbuktu» Amstutz auf dessen Postkarten-Auffüll-Tour mit, mit Mikro und Tonbandgerät bewaffnet, die ganze Tour wurde aufgezeichnet. Im Atelier dann liess sie die Aufnahme laufen und zeichnete blind und in Echtzeit die ganze Tour auf einem grossen Plakat auf. Es entstand ein eigentümlich disproportionaler und dennoch auf schräge Weise akkurater Stadtplan – der dem Schwerpunkt von Wagners Arbeit entspricht, der Nachforschung darüber, «wie wir unsere Wahrnehmung abspeichern, wie wir uns daran erinnern und danach orientieren – kognitives Kartieren».

In einer zweiten Phase dann setzte sie sich über Wochen in Cafés, in denen die Timbuktu-Karten-Verteiler positioniert sind, und wartete, bis jemand Karten nahm – um der Person dann zu folgen, wiederum mit dem Aufnahmegerät in der Hand. Auch diese Wege wurden im Atelier getreulich aufgezeichnet, wieder blind und mit dem in Echtzeit laufenden Band als Gedächtnisstütze. In einem dritten Schritt schliesslich wählte Wagner Ausschnitte aus den beiden Plänen, kolorierte sie und stellt sie nun eben, neben den beiden Originalplänen, im Kleintheater aus. Das Resultat ist verblüffend – und von grosser Komik. Die Ausstellung dauert noch bis zum 29. Mai, einige der Bilder sind noch zu haben. Hingehen, anschauen, ja nicht verpassen! Die Partys. Nach dem einen und anderen Grappa an der kleinen und feinen Kleintheater-Bar sowie der einen und anderen Outdoor-Zigi verschlug es uns in die Metzgerhalle, wo Shady and the Vamp gespielt hatten, und dies, der Stimmung nach zu schliessen, offenbar begeisternd; immerhin erwischten wir noch die After Show Disco: Kelly Voltage und BrigitteNoPardon liessen Highlights aus den Achtzigern durch die ach so klare Luft donnern, dass man sich eine Zeitmaschine gewünscht hätte, um in das lässe Jahrzehnt zurückzukehren – oder wenn man doch immerhin weniger gesoffen hätte damals, um etwas mehr von der Ersthanderinnerung zu haben. Nun, toll und ausgelassen wars. Wäre da nur nicht das doofe Rauchverbot: Der einzige anwesende (soweit uns ersichtlich) Nichtraucher, P. B., hing die ganze Zeit mit uns RaucherInnen vor der Tür rum – wir müssen uns auch zu einer Uhrzeit an das sinnlose Gesetz halten, da die brave Nichtraucherschaft längst schläft … mir tun schon die Kiefer weh vor lauter Zähneknirschen. Im Anschluss an die Metzg dann gings in die Gewerbehalle, wo DJ Jim (die unvergleichliche Nina Laky) zum Tanz aufspielte – wie stets mit herausragend guter Selection; jedenfalls spielten sich im Tanzvolk wüste Szenen von ausgeprägter Laszivität ab. Aber rauchen durfte man dort auch nicht. Und natürlich war nicht ein einziger Nichtraucher mehr da.