Ekstatisches Tanzen im Treibhaus

Ich stehe morgens auf und ein kleiner Mann in meinem Ohr singt: «Danse, danse, danse!» Schuld an dem Wurm ist das Konzert von Konono No. 1 von letztem Dienstag im Treibhaus Luzern.

(Von Emel Ilter)

Es ist Dienstagabend. Der Saal im Treibhaus füllt sich nach und nach. Aus der Anlage erklingt Afrobeat – aber keine Ahnung, ob das ein Vorgeschmack auf das Konzert sein soll. Einige Verstärker, eine Snaredrum, Trommeln, Kuhglocken und ein Schalltrichter mit der Aufschrift «Konono No. 1». Sechs Personen kommen auf die Bühne, eigentlich aus Kinshasa, heute auf ihrer Tour von Deutschland angereist. Der Ruf, der ihnen vorauseilt, erinnert mich an die Geschichten über die Anfänge von Hiphop oder an die Beschreibungen von Dub-Battles in Jamaika. Aus der Not heraus selbstgebastelte Technik, die sowohl laut wie auch schwarz ist. Hierzu passt auch der Zusatz, dass ähnlich wie beim Hiphop der weisse Mann seine Arme öffnete, um dem Stil von Konono No. 1 – «Congotronics» – zum kommerziellen Durchbruch zu verhelfen. In diesem Fall Björk, Thom Yorke, Damon Albarn und viele mehr. Aber zurück zum Abend ... Die Rhythmen der Songs wirken zunächst vertraut. Afrikanisch halt. Ich merke schnell, die Art und Weise, wie ich Beine und Schultern bewege, ähnelt den Bewegungen beim House oder Techno. Snare, Glocken und Congas tun ihr Bestes, um das Bild in meinem Kopf, das ich von House etc. habe, zu vollenden. Auffällig am Sound ist ein Klang der an eine psychedelisch anmutenden 70er-Jahre-Gitarre erinnert. Aber statt an Saiten zu schrammeln, drücken drei der Musiker an hölzernen Rechtecken herum, als wären es zu gross geratene Game Boys. Später erfuhr ich, dass es sich dabei um das traditionelle Daumenklavier Likembé handelt. Dieses hat der Gründer der Band, Mawambu Mingiedi, mit Teilen aus Autowerkstätten zu dem gemacht hat, wonach es heute klingt: extraordinär. Ich habe noch nie eine so grosse Menge an SchweizerInnen auf solch exsessive Art tanzen gesehen. Erst recht nicht an einem Dienstagabend. Was auf der Bühne passierte war zwar spannend, wurde aber schnell zur Nebensache. (Man würde ja auch nicht permanent zum DJ rüberschauen.) In den Gesichtsausdrücken einzelner Gäste wurde deutlich, wie schnell nur noch die auditive Penetration eine Rolle spielte. Die einzelnen Songs zogen sich in die Länge und nahmen sich so die Zeit, jeden einzelnen einzunebeln, so dass die Luft im Saal sehr schnell heiss und feucht wurde. Wahnsinn! An der Angelegenheit war jedoch nichts verzerrt oder verzogen. Der Sound war gut abgemischt, der Gesang akustisch verständlich und die Aufteilung zwischen Band und Publikum mehr als deutlich. Das passiert nun einmal, wenn man die Musik von den Strasse auf die Bühne holt. Konono No. 1 macht Musik, die als Trance-Musik des Bazombo-Volks bekannt ist. Mit Rhythmen also, die seit Jahrzehnten existieren. Dass sie uns jetzt an einige neue Stilrichtungen erinnern, ist mehr oder weniger Zufall, zeigt aber, wie universell Musik funktioniert und wie nah sich Afrikanier an der Basis von Rhythmus befinden, der seit Anbeginn des Pop die «westliche» Musik geprägt hat. Bewusst oder unbewusst. Live sind Konono No. 1 ein unvergleichliches Erlebnis, auf Platte ein sehr entferntes Abbild einer vagen Erinnerung. Also unbedingt live sehen / hören. Danke Boa! Ganz grosses (Daumen)Kino ...