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Südpol Kriens, 16.02.2018: In Island scheint Talent aus dem Boden zu sprudeln wie ein Geysir. Damit gesegnet sind die Band Vök und Solo Künstler Auður. Brodelnd heiss und druckvoll spielen die beiden im Südpol auf und sprengen dabei ihre Genre-Korsetts.

Island gibt Rätsel auf: Eine Nation von nur gerade 350'000 (Quelle: Statistics Iceland) vermag immer wieder zigmal grössere Massen zu begeistern. Sportlich, wenn die Fussball-Wikinger die englischen Löwen aus der EM kicken. Musikalisch, wenn die Vulkaninsel Ausnahmetalente ausspuckt, welche das Feuilleton in Euphorie versetzen. Die isländische Szene bringt vor allem in Nischengenres Stars hervor: Post-Rock (Sigur Rós), Filmmusik (der kürzlich verstorbene Jóhann Jóhannsson) oder Björk (Björk). Auch Vök könnten vielleicht in diese Reigen aufsteigen. Sie sind ein relativ neuer, ziemlich hipper Export aus Island und an diesem Freitagabend im Südpol zu Gast. Die Musik von Vök gehört gemäss Veranstaltungsbeschreibung in die Schublade «Electro-Pop». Naja. «Electro-Pop» ist wohl weniger eine Schublade, als ein ganzes Möbelhaus. Welcher Anteil zeitgenössischer Popmusik ist denn nicht elektronisch produziert? Nicht weniger unklar umrissen wird die Musik von Vök von der Band selbst. Diese schreibt auf ihrer Facebook-Seite von «Indie-Electro», und schafft es damit, gleich zwei Worthülsen zu verbinden, welche kaum Greifbares beschreiben. Sei’s drum. Wie der Auftritt auf der Bühne zeigt, ist eine Kategorisierung der isländischen Allrounder ohnehin zum Scheitern verurteilt.

Doch der Reihe nach. Zunächst schickt sich Support-Act Auður an, den musikalischen Abend zu eröffnen. Der junge Isländer markiert Präsenz mit Ausdruckstanz-artigen Verrenkungen und geht sichtlich mit den Emotionen seiner Musik mit. Diese produziert und singt er komplett selbst. Die tiefen Bässe, harten Snares, und 16tel-Hi-Hats kommen direkt aus dem trendigen Trap-Drumkit, die simplen, doch emotionalen Texte aus einer einsamen Phase in einer isländischen Kleinstadt. Die Songs von Auðurs Album «Alone» klingen wie die basslastigeren Tracks eines The Weeknd, wenn der Isländer die Gitarre zückt zuweilen auch romantisch-verträumt wie Homeshake. Drums und einige Vocal-Spuren kommen ab Konserve, was das Live-Erlebnis etwas trübt. Doch man schaut Auður gerne zu: Der blonde junge Mann wirkt mit weissem Oversize-Sweatshirt und verführerischen Tanzeinlagen wie ein isländischer Maurice Ernst (Bilderbuch). So bietet Auður einen grossen Coolness-Faktor und R&B auf der Höhe der Zeit.

vök südpol

Classy statt cool – dies das Credo des Hauptacts des Abends. Mit Saxophon und Rotwein betreten Vök die Bühne. Im Studio zu dritt, spielen sie live als Quartett. Eine wichtige und richtige Entscheidung. Der Sound tönt gesättigt, die Klänge der Instrumente greifen ineinander, das Zusammenspiel der Band funktioniert prächtig. Die Instrumentation vermag sich Mal für Mal aufzubäumen, um danach wieder abzuflachen, gibt der Stimme von Frontfrau Margrét Rán teils mehr Raum, teils weniger. Der auch mal isländische Gesang kommt tief aus der Kehle und erinnert dabei in Stimmfarbe und Betonung gerne an Karin Dreijer (aka Fever Ray, Sängerin von The Knife). Nebensächlich werden Text und Gesang, wenn schwere Synths alle anderen Sounds fast verschlucken, oder wenn Outros in die Länge gezogen, und mit Saxophon-Soli geschmückt wird. So spielen sich Vök souverän durch ihr Repertoire aus zwei EPs und ihrem letztjährigen Debüt-Album «Figure». Ihren Hit «Waiting» mit über 700'000 Clicks auf YouTube spielen sie bereits als zweiten Song, doch haben damit keineswegs ihr Pulver verschossen. Die folgenden Stücke halten das Niveau und bieten Abwechslung: Mal sind die Drum-Sounds digital erzeugt, mal nicht, hier dominiert eine Gitarre, anderswo der Synthesizer. Vök überzeugen als Band und tragen das Publikum mit verträumtem und sphärischem Pop durch den Abend, sodass dieses nach knapp einer Stunde zurecht eine Zugabe fordert.

Es bleibt nur die Frage: Ist das noch Indie-Electro? Wer die Musse hat, über diese Frage nachzugrübeln, hatte Kopf und Herz während des Konzerts definitiv nicht bei der Musik.