Eintauchen in den Mullbau

Triathlon und Mullbau – die Namen mögen fehlleiten. Es geht hier weder um Sport noch um Biologie. Sondern um Jazz in einem schmucken Lokal in Reussbühl. Und ja, man kann – soll – auch an Jazzkonzerte gehen, wenn man nichts davon versteht. Auch an sogenannt «schwierige».

Der Mullbau nahm seinen Anfang auf der Emmenweid in Emmenbrücke, wo die Hausband Nacktmull (eigentlich komische, rattenartige Unter-Erde-Tiere), aber auch andere Combos, für feine Jazzabende vor einem erlesenen Publikum besorgt waren. Im November letzten Jahres ging der Betrieb nahtlos in der Lindenstrasse in Reussbühl weiter. Genau, jene Lindenstrasse, die durch den Dok-Film des Schweizer Fernsehens von einem Tag auf den anderen nationale Berühmtheit erlangte. Gestern Donnerstag spielte Triathlon mit dem Saxofonisten Tobias Meier, dem Schlagzeuger Norbert Pfammatter und dem Kontrabassisten Fabian Gisler (war an den Stanser Musiktagen mit Rusconi zu hören). Der Mullbau ist von Luzern herkommend anfangs Lindenstrasse platziert, in einer schön renovierten ehemaligen Kaffeerösterei aus Backstein. Mit 25 Zuschauern wird's darin bereits eng – gestern waren es glücklicherweise etwas weniger.

Das Trio spielte ein knapp 90-minütiges Set – es begann verspielt, verwoben. Pfammatter zwirbelte mit seinen Stecken über sein Drumset, das aus Allerlei mehr bestand, als üblich bekannt. Er streichelte und klöpfelte darüber. Derweil Meier in sein Saxofon hauchte, die klaren Töne kamen erst zögerlich. Gisler, ebenfalls noch zurückhaltend, zupfte dunkle, warme Töne aus seinem hölzernen Ungetüm. Ich – alles andere als ein passionierter Jazzhörer – tauchte alsbald in die Klänge ein. Der nächste Song hiess «Waschküche 3», verriet Meier in einer kurzen Ansprache. Und der Film vor meinem inneren Auge begann zu laufen – die Geräuschkulisse dazu war perfekt. Pfammatter am Schlagzeug unglaublich virtuos. Wunderbar verspielter Jazz in einer intimen Atmosphäre. Man konnte die Augen schliessen, die Bilder spulten. Aber auch beobachten ist nicht ohne – zuschauen wie die Drei, jeder auf seine Art, die Klänge durch Mimik unterstützt, untermalt, verstärkt. Nun eine Ballade: «Die Erinnerung». Schmerzhafter und schöner als jeder Popsong, fantastisches Saxsolo – erst wieder dieses Hauchen, dann beginnt es zum Höhepunkt hin zu singen und schreien, manchmal auch sprechen. Zu keinem Moment hatte das Set etwas Angestrengtes, gar Abgehobenes. Die Musik strahlte denselben Schalk aus wie die Musiker bei der Zigarette vor dem Konzert. Mit ebendieser Gelassenheit ist die Musik wohl auch zu nehmen.

Letzer Song, Triathlon setzten zum Endspurt an und drehten nun recht mächtig auf – wilde Soli wechselten sich ab. Ich wollte aufspringen und -schreien. Beliess es aber bei angemessenem Applaus und einem Zustupf in die Kollekte. Anschliessend draussen vor der Tür wieder die Diskussion: Wieso haben nur so viele Menschen Berührungsängste mit Jazz? Die plausibelste Antwort lieferte Norbert Pfammatter: Es liege am Begriff «Jazz» – man müsste ihn also konsequenterweise meiden. Wie sagte schon Pirmin Bossart an dieser Stelle so schön: «Warum zum Teufel stellen sich immer noch viele Leute solche Musik als schwierig vor? Es muss ein Missverständnis sein, das vor den Rock'n'Roll zurück geht.» Nächsten Freitag, 15. Mai, bietet sich im Mullbau schon die nächste Chance mit altbackenen Klischees aufzuräumen: Mit den beiden Saxofonisten Urs Leimgruber und Marcel Schmid.