Eine verwinkelte Angelegenheit

Zwischen dem 14. und 22. Januar stellten zwei junge Künstlerinnen die physikalischen Dimensionen unseres Universums auf den Kopf. In den verwinkelten Räumen des Detektiv Bureau Luzern gingen Eva-Maria Knüsel und Michelle Kohler dem Phänomen «Raum» mit subtiler Eigenständigkeit auf den Grund. In ihrer ersten gemeinsamen Ausstellung «Neue Winkel» schufen die beiden Querdenkerinnen ein Mindestmass an Verortung, an Geborgenheit in der undefinierten Dimension des Seins.

(Von Simon Meienberg)

«Der Raum ist kein Beziehungssystem zwischen den Dingen, sondern er ist die von aussen her vollzogene Umgrenzung des von einem Ding eingenommenen Volumen» (Otto Friedrich Bollnow, der Mensch und Raum). Vom gegenüberliegenden Gebäude der Busstation Kreuzstutz kündigt sich die Ausstellung bereits durch eine am Fenstersims fixierte Holzkonstruktion an. Und wer weiss, ob sich nicht schon der eine oder andere Kleingeist über die Verschandelung des Hauses beschwert hat. Dabei wissen wir Insider um das Geheimnis des vermeintlichen Balkons. Er ist ein Exponat der Künstlerin Michelle Kohler und Teil der Ausstellung «Neue Winkel». In neugieriger Erwartung betrete ich den Ausstellungsraum über die knarrenden Parkettschwelle. Prominent drängt sich Michelles Installation in mein Blickfeld. Ein grosser rechteckiger Spiegel liegt am Boden. Umrahmt von vier Bauabsteck-Gerüsten aus rauem Holz, definiert er die Dimensionen des Raumes neu und regt zum Weiterdenken an. Fasziniert schaue ich in die glatte Spiegelfläche und finde meine kopfüberstehende Gestalt in einem imaginären Raum wieder. Behutsam bewege ich mich um die Installation herum und bisher unbekannte Blickwinkel offenbaren sich. Es ist als ob das eigene Spiegelbild in einer unbekannten Parallelwelt gefangen gehalten würde. Im Lichthof wuchert ein dichtes Tannenwäldchen. Licht durchbricht die Zweige von der Seite her, wirft einen Schimmer auf die schaurige Szene, wodurch der Platzmangel zusätzlich unterstrichen wird. Also kein geeigneter Ort für Klaustrophobien, denn Michelles Räume haben es in sich. Evas Kaltnadel-Radierungen bilden das Pendant zu den Installationen. Sie präsentieren sich dem Betrachter in schlichter Holzumrahmung und entpuppen sich als äusserst komplexe Raumwelten. Dabei korrespondieren sie perfekt mit den dreidimensionalen Werken ihrer Kollegin und bespielen die kahlen Wände mit neuem Leben. Die vor mir hängende Radierung zeigt eine Bergspitze, welche die Enge des umgebenden Raums durchstösst und von einer Treppe erschlossen wird. Die expressiv geritzten Linien überschneiden sich, bilden an gewissen Stellen räumlich erfassbare Körper und lassen viel Interpretationspielraum offen. Im daneben hängenden Bild meine ich eine Art Wohnzimmer mit Tisch und prasselndem Feuer im Kamin zu sehen. Wiederum von einem anderen Winkel aus betrachtet, könnte der Tisch auch nur ein Kubus sein. Und ich könnte mich wohl noch lange in den vielen kleinen Details dieser unvergleichlichen Bildwelten verlieren, wenn ich eines dieser Kunstwerke mein Eigen nennen dürfte. Doch leider sind sie unverkäuflich. Als meine Sinne allmählich die Orientierung verloren haben, navigiert mich Eva souverän aus der Misere. Der Raum sei als imaginäres und physisch erfahrbares Gefäss zu verstehen, erklärt sie mir während eines Rundgangs durch die Ausstellungsräume. Ihre Radierungen entstanden in der Druckwerkstatt des BBK Berlin. Um die Ausstellung zu vervollständigen, hat sie ihre Kollegin Michelle herangezogen, die wiederum auf Eva reagierte. So entwickelte sich die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema «Raum» zu einer überaus gelungenen Ausstellung im Detektiv Bureau Luzern. Anlässlich der Finissage am letzten Samstag warteten die beiden Künstlerinnen mit einer ganz exklusiven Überraschung auf. Arno Camenisch, Poet und Conaisseur der literarischen Versuchung, fesselt das Publikum mit Anekdoten aus seiner Kindheit und entrückten Schilderungen vom Leben im Schatten des mächtigen Sez Ner. Mit unbefangener Leichtigkeit erzählt der gebürtige Graubündner vom eigenwilligen Dandy John Bi, dem schönen John, der sich mit seinen Lebensweisheiten zum rechthaberischen Dorfweisen gemausert hat. Oder von der Beiz Helvezia hinter dem Bahnhof, die mit ihrer atmosphärischen Kulisse zum Schauplatz von witzigen und ernsten Meinungsverschiedenheiten wird. Und als der rhythmische Singsang von Arnos Stimme verklingt, geht ein tiefes Seufzen durch den Raum. Zu schön war diese atemberaubende Reise, zu schön um wahr zu sein.