Ein Märchen, wie es im Entlebuche steht

Ein Biest lädt ein und die Zuschauer kommen in Scharen: Das Gymnasium Plus Schüpfheim führt in Escholzmatt das Musical «Die Schöne und das Biest» auf. Ein Bericht von der Premiere am 3. März 2012.

Es war einmal ein kleines Dorf, in dem war nichts los. Seine Bewohner gehen zur Kirche und sitzen in den Kneipen, viel Unterhaltung gibt es nicht. Gut gelaunt, aber nicht ohne Ungeduld singen die Jungen im Chor: «Ach, wenn doch einmal etwas Aufregendes passierte …» Die Rede ist nicht vom Entlebuch, auch wenn zuweilen böse Zungen die Dörfer des Tales gerne so beschreiben. Die Rede ist von einem erstaunlich grossen, erstaunlich innovativen, erstaunlich professionellen – kurzum: erstaunlichen – Musicalprojekt, das böse Behauptungen, hier sei nichts los, Lügen straft. Aber was ist es, das «passiert», und fünfhundert Menschen dazu bringt, sich voller Erwartungen in der Mehrzweckhalle Escholzmatt zusammenzufinden?

Im Märchendorf bleibt es nicht lange langweilig. Der rüpelhafte Gustav wirbt um die schöne Bella, Tochter eines reichen Kaufmannes. In seinem Übermut – er: «Ich bin einfach der Schnellste», sie: «Aber leider nicht der Hellste» – schlägt er ihr schon mal einen Blumenstrauss ins Gesicht. Sie ziert sich zu Recht: Eine Fee prophezeit ihr, dass sie zu Grösserem geschaffen sei. «Du wirst die Welt entdecken und einem Menschen das Herz öffnen». Zunächst wartet aber Ungemach; ihr reicher Vater wird mit einem Schlag bettelarm und verirrt sich zu allem Übel in ein verzaubertes Schloss. Es folgt der Auftritt des Biestes, das ihm seinen verlorenen Reichtum zurück gibt, ihn aber für immer an sich binden will. Der Kaufmann darf das Schloss nur unter der Bedingung verlassen, in drei Tagen zurückzukehren, oder er muss eine seiner drei Töchter hergeben. Bellas Schwestern sind für eine selbstlose Tat denkbar ungeeignet: Heftig keifend denken sie nur an sich und an die Juwelen, die sie sich aus dem Geld des Vaters kaufen können. Anders Bella, die sich gegen den Willen des Vaters zum Ungeheuer begibt. Eine Welt der Farben und der Magie entfaltet sich, in der hinter der Fassade des Bösen die grosse Liebe auf seine Befreiung wartet. Mit Silvio Wey als Regisseur hat sich das Produktionsteam unter Markus Felder einen jungen und doch bereits erfahrenen Theatermann ins Boot geholt. Ihm ist es zu verdanken, dass die gar zuckersüsse Geschichte nicht in den Kitsch abdriftet. Wohltuend entfernt er sich von der Ästhetik des Disney-Trickfilmklassikers. Die Bühne ist minimalistisch ausgestattet, wirkt aber durch abwechslungsreiche Lichtspiele und die in allen Farben erleuchtbare Rückwand niemals kahl. Der Minimalismus lässt Raum für die Choreographie grosser Chorszenen und für ein siebenköpfiges Ballettensemble. Dass die fünfzig Jugendlichen vor und hinter der Bühne keine professionellen Ausbildungen abgeschlossen haben, vergisst man zuweilen. Insbesondere die gesangliche Leistung Bellas (Anja von Muralt) sticht hervor. Ihre beiden «Partner», das Biest (Lukas Studer) und der Bauerntrampel Gustav (Patrick Notter) überzeugen durch ihr schauspielerisches Talent und für viele Lacher sorgen Bellas komische Schwerstern Ilse und Grete (Martina Thalmann und Raphaela Felder). Ein neunzehnköpfiges Orchester (musikalische Leitung: David Engel-Duss) lässt sich nur durch den regelmässigen Szenenapplaus in ihrer sicheren Begleitung unterbrechen.

Ein Ziel des Projektes war die Jugendförderung im Tal. Der Projektleiter versteht sich in diesem Sinne als kultureller Wegbereiter. Das Gymnasium Plus Schüpfheim hat zum Wagnis nicht nur die Hoffnung auf PR verleitet, sondern wohl auch die Tatsache, dass es einige ausserordentliche junge Talente zur Hand hatte. Die Risiken, die das Produktionsteam dabei auf sich genommen hat, waren gross. Weder bei der professionellen Lichttechnik noch bei der filmreifen Maske wurden Aufwand oder Kosten gescheut. Ein Jahr haben die Vorbereitungen für «Die Schöne und das Biest» gedauert. Für Musical-Theater ist im Entlebuch damit eine neue Zeit angebrochen, wenn alles gut über die Bühne geht, wird in drei Jahren die nächste Grossproduktion zu sehen sein. Und dass es, nach anfänglich zögerlichem Interesse in der Bevölkerung, gut über die Bühne gehen wird, beweist der ausverkaufte Premierenabend. Bereits musste eine Zusatzvorstellung organisiert werden. Was singt Bella so treffend für ihr pessimistisches Biest: «Seht ihr denn nicht, wie das Dunkel der Dämmerung weicht?» Manchem Zuschauer mag nach dem tobenden Schlussapplaus ein anderes Lied beim Hinausgehen nachgelaufen sein: «Es war ein Traum, zu früh bin ich aufgewacht».