Ein Hasenkuss am Helvetiaplatz

Die in London und Berlin ansässige, zwischen Film, Pop, Theater und Performance hin- und herhüpfende Performance-Gruppe Gob Squad hat gestern den Südpol beehrt. Mit frenetischem Applaus, Girlanden, Konfetti und Leuchtkerzen haben wir die vier verschwitzten, lediglich in Unterwäsche gekleideten, Performer empfangen, wurden dabei gefilmt und so zu Mitspielern ihrer Videoaktion «Super Night Shot».

(Von Andrea Portmann)

Genau eine Stunde vor ihrem Eintrudeln im Südpol schwirrten die Vier, mit Videokameras bewaffnet durchs hippe luzernische Neustadtviertel, um dasselbe zur Kulisse einer filmreifen Kussszene zu machen und damit ihre mittlerweile bereits in 100 Städten vollführte Mission gegen die Anonymität der Städte fortzuführen.

Vier Rollen standen dabei von Anfang an fest: Der zu küssende Hasenheld Sean Patten, den (noch) niemand in der Stadt kennt. Die für seine Publicity zuständige Sarah Thom, die den Kopf des Helden überall hinklebt (auch da hin, wo in sorgfältigen Lettern geschrieben steht «Luzern glänzt») und in ihrer charmanten britischen Art die Menschen in Cafés und Restaurants auf das Dasein des Helden aufmerksam macht. Mat Hand, der den perfekten Kussszene-Ort auskundschaftet. Und schliesslich der für das Casting zuständige Bastian Trost, der, wie er maliziös lächelnd in die Kamera sagt, für die Kussszene «etwas Warmes sucht, das funktioniert». Selbstredend kann dies Mann, Frau, Hund, Katze, Igel oder – in Anbetracht des gestrigen Wetters – auch ein Regenwurm sein. Die übrigen Rollen werden bekleidet durch Nichtsahnende, durch die Strassen schlendernde Passanten und Passantinnen.

In der grossen Halle des Südpols schauen alle gebannt auf die Vierkanal-Videoprojektion, die alle Peformer gleichzeitig während ihrer verschiedenen Aktionen zeigt. Dass wir das Ganze kurz nach den Aktionen, quasi als Beinahe-Live-Übertragung (das Videomaterial wird ungeschnitten gezeigt) mitverfolgen, tut der Spannung keinen Abbruch. Im Gegenteil: Man versucht, die einzelnen Strassen, durch die sie sich bewegen, und die Lokalitäten, in denen sie sich aufhalten, wieder zu erkennen. Da! die Winkelriedstrasse mit dem Pizza-Take-Away. Dort! das Kino Capitol. Gleichzeitig erwartet man, dass jeden Moment ein alter Bekannter um die Strassenecke kommt, oder ein begossener Pudel an einen Baum pinkelt.

Durch die mediale Vermittlung erscheint das Stadtviertel, von dem man meint, es wie die eigene Hosentasche zu kennen, plötzlich fremdartig, man nimmt es aus einem völlig anderen Blickwinkel wahr, es wird zur Filmkulisse. Beinahe wie eine Geisterstadt wirkt das trendy Luzerner Viertel, in dem sich bei schönem Wetter zuhauf trendy Leute auf den Strassen, in den Cafés und Parks tummeln. Verständlich, dass bei diesem Hudelwetter nur wenige unterwegs sind. Schade aber, dass die Wenigen, die unterwegs sind, nicht gerade originell auf die Avancen der Bob-Squad-Crew reagieren. Manchmal sind die Reaktionen so unoriginell, dass man sich zumindest ein Schmunzeln nicht verkneifen kann. Begleitet sind sie stets von einem verhalten misstrauischen Blick, zuweilen einem verständnis- bis mitleidvollen Lächeln – da hilft auch das schillernde Ganzkörper-Glitzer-Dress des Helden nicht viel.

Das hält die Vier aber keineswegs davon ab, sich in Esel, Henne, Hase und Gorilla zu verwandeln und dergestalt, da, wo sie sich gerade befinden, zum Beispiel mitten auf der Strasse, ein bisschen das Tanzbein zu schwingen. Zusätzlich dramatisiert oder ironisiert werden solche Sequenzen durch live eingespielte Begleitmusik. Was bei der Tanzszene, wie auch bei anderen Szenen, in denen alle dasselbe tun, auffällt, ist das perfekte Timing.

Nach einem Weilchen vergeblichen Suchens eines möglichen «funktionierenden, warmen Etwas» für die Kussszene trifft Caster Bastian Trost auf ein keckes Deutsches Mädel, das ihm auf die Frage. «Was möchtest du einmal werden?» antwortet: «Ich bin doch schon.» Sie ist bereit für ein Abenteuer, bereit einen Hasen zu küssen – denn in einen solchen hat sich der Held inzwischen verwandelt. Und so kommt es am öffentlichen Helvetiaplatz vor zwei wunderschönen Telefonzellen zu einem intimen, hollywoodtauglichen Kuss zwischen dem Deutschen Mädel und dem Hasenhelden – musikalisch rührend untermalt von einem Queen-Stück. Und wir alle schauen diesem Moment innigster Gefühlswallungen zu und finden es schön und komisch zugleich. Da beginnt der Hase, sich seiner Hasenmaske zu entledigen und seine Kleider auszuziehen, nicht ganz nackig, aber bis aufs Unterhemd, übergibt der Liebsten seine symbolischen Überreste. Auch die anderen drei ziehen sich bis aufs Unterhemd aus, hüpfen so in ihr Auto und begeben sich in einer rasanten Autofahrt zum Südpol.

Ganz am Schluss sehen wir uns auf der Leinwand im Südpol stehen, wie wir den hereinkommenden Unterhemden zujubeln, ihnen Konfetti und Girlanden anschmeissen. Ausgeklügelt eingefädelt, kann man da nur sagen...

Gob Squad sind diesen Abend nochmals für einen «Super Night Shot» im Neustadtviertel unterwegs! Also entweder Teil des Takes werden und dem zu küssenden Helden zwischen 20 und 20:45 Uhr auflauern oder aber im Südpol die Aktion im Nachhinein mitverfolgen.

Gob Squad, «Super Night Shot», 21 Uhr, Südpol Luzern