«Da ist ein Fehler im System», tönt es aus dem kleineren der beiden Ausstellungsräume im Luzerner Kunstpavillon. Darin zwei grosse Bildschirme, sie zeigen abwechselnd Aufnahmen von erzählenden Frauen, Landschaften, Sing- und Tanzeinlagen. Die über die Bildschirme tanzenden Frauen sind die Künstlerinnen Muda Mathis und Sus Zwick. Zwischen dokumentarischen Aufnahmen werden fünf Songs als performative Einlagen eingespielt. Die Lieder erinnern an die Performances der feministischen Frauenband «Les reines prochaines», der Muda Mathis und Sus Zwick angehören.
Sexualität, Geschlechterrollen, Erwartungen, Ehrlichkeit und Familienbeziehungen sind nur ein Bruchteil davon, was das Schaffen von Künstlerinnen und Frauen in der Kunst im Jahr 2019 ausmacht und beeinflusst. In der Ausstellung «♀— Positionen zeitgenössischer Künstlerinnen» im Luzerner Kunstpavillon beschäftigen sich fünf Künstlerinnen mit der Frage nach ihren eigenen Interessen in der Kunst und ihrer Rolle als Frau in unserer Gesellschaft. Dabei lassen sich ähnliche, mal gesellschaftskritische und mal politisch-provozierende Züge in ihren Arbeiten erkennen.
Ein Kommentar zur Konvention
Im gleichen Raum wie die Videoinstallation sind nebeneinander angereihte Polaroid-Fotos aufgehängt, die Körperstellen verschiedener Frauen zeigen. Die fortlaufende Arbeit «I never realized» von Anna-Tia Buss zeigt Geschichten von Frauen und der Beziehung zu ihren Körpern. Hier ein Bauch, da ein Arm und dort ein paar Brüste. Mit schwarzem Filzstift sind Kommentare auf den Bildern vermerkt, die sich mit den abgebildeten Körperteilen auseinandersetzen. Es ist faszinierend, wie sehr diese fremden Frauenkörper einen in ihren Bann ziehen, obwohl sie auf den kleinen, unscharfen Polaroids kaum zu erkennen sind. Die Kommentare auf den Polaroids stammen von den abgebildeten Frauen selbst. Sie stellen sich damit auf ehrlichste Weise den eigenen Unsicherheiten. Gedanken zum eigenen Körper schwirren einem durch den Kopf. Es ist eine Auseinandersetzung mit Selbst-Akzeptanz und Selbstbewusstsein.
Diese rohe Ehrlichkeit setzt sich im nächsten Ausstellungsraum fort. Stofftücher hängen vor den Fenstern. Darauf sind in schwarzem Garn gestickte sexuelle Szenerien zu sehen. Die kitschigen, altmodischen Tücher stehen in starkem Kontrast zu den Stickereien von nackten, teilweise angeketteten Körpern. Dieser Gegensatz fesselt und fasziniert. Mit der intimen Ehrlichkeit in den Darstellungen sexueller Erfahrungen gibt die Künstlerin Alina Kopytsa Persönlichstes von sich Preis und fordert so Offenheit von den Betrachter*innen. Wieso sollte man die eigenen sexuellen Begehren, Meinungen und innersten Gedanken vor anderen verbergen?
Hinter dem Schleier
Eine Energie befindet sich im Raum, ausgestrahlt von fünf grossformatigen Malereien, dessen Farben in ihrer fliessenden Bewegung erstarrt zu sein scheinen. Shannon Zwicker setzt sich in ihrer Ausstellung mit dem Thema des Begehrens auseinander und versteckt Sehnsucht und Sinnlichkeit hinter dem Schleier der Farbe. Die abstrakte Bilderserie, die in sich wiederholenden Farbtönen gehalten sind und organische Formen und Flächen zeigen, trägt den Namen «Prosciutto sugli ochi» (im Deutschen etwa wie «eine rosa Brille aufhaben») und entstand nach einem Atelieraufenthalt in Genua.
Ein Schilderwald im Garten
Generationskritisch wird es im Garten hinter dem Kunstpavillon. Dort spazieren die Gäste durch einen Wald voller Schilder auf denen Fotografien verschiedener Hautstellen zu sehen sind. An unterschiedlichen Stellen wurde das Wort «Like» in die Haut eingedrückt. Fast schmerzlich heben sich die rötlichen Buchstaben von der feinen Haut ab. Maura Wittmer zeigt ihre Faszination für die Social-Media-Generation, der sie selbst angehört. Das Wort «Like» kann bewerten, kritisieren und sich in den Geist eines Menschen einbrennen.
Die Ausstellung im Kunstpavillon ist mehr als nur das Abbild der Interessen und des Schaffens von heutigen Künstlerinnen, es ist ein kritisches Abbild der Gesellschaft im Jahr 2019.
♀— Positionen zeitgenössischer Künstlerinnen
SA 24. August bis SA 21. September
Kunstpavillon, Luzern
Finissage: 21. September, 16 Uhr
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