Ein! absolut! unbändiger! Auftritt! von! Animal! Collective!

Es galt als kleine Indie-Sensation, als man vernahm, dass Animal Collective in Luzern das einzige Deutschschweizer Konzert spielen. Zu verdanken einmal mehr dem Erbe der Boa. Und das Konzert in der Schüür war tatsächlich eine ziemliche Sensation – ein Fest für die Sinne, eine einzige Party. Wenn da nur noch das Publikum mitgemacht hätte.

Gehen wir chronologisch vor. Als Support war Pantha du Prince angekündigt. Dahinter verbirgt sich der DJ, Produzent, Komponist und Möbelbauer Hendrik Weber aus Hamburg – auch unter den Pseudonymen Panthel und Glühen aktiv und im Nebenamt Bassist der Hamburger Band Stella. Weber bezeichnet sich – was auch zu Animal Collective passt – als Nomade. Zwischen den Metropolen Hamburg, Berlin, New York und Paris entstand sein jüngstes Album «This Bliss». Pantha du Prince bot ein 45-minütiges DJ-Set mit gehörigen Bässen, durchaus tanzbaren Beats und schrulligen Geräuschen. Vereinzelt wurde in der sich langsam füllenden Schüür schon eifrig getanzt – dennoch versank der Auftritt etwas in der Monotonie, was vielleicht auch mit den gar schummrigen Lichtverhältnissen zu tun hatte (siehe Bild rechts).

Dennoch: Pantha du Prince ebnete den Weg. Den Weg zu den famosen Animal Collective, die ebenfalls ein zu grossen Teilen elektronisch dominiertes Konzert gaben. Neun Studioalben im Rucksack, schaffen es Animal Collective aus Baltimore immer wieder von Neuem Kritiker wie Indie-Nerds zu Lobgesängen zu verführen – dieses Jahr mit «Merriweather Pavilion». Ein berauschendes Album, das mich innert weniger Wochen fest im Griff hatte und noch immer hat. Was hab ich dazu mental schon für Tanzeskapaden und Drogenräusche durchgemacht... So experimentell, so wirr und gleichzeitig so zartschmelzend schön und eingängig. Und nun standen sie vor mir: Noah Lennox (aka Panda Bear), David Portner (Avey Tate) – die beiden Gründer – sowie Brian Weitz (aka Geologist). (Der Vierte im Bunde, Josh Dibb (aka Deakin), nimmt gerade eine Auszeit.) Die Bühne: Eine grosse papierne Kugel, scheinbar im Raum schwebend, im Hintergrund auf einer grossen Leinwand das wirre Muster des aktuellen CD-Covers. Auf die Kugel wurden verschiedene schöne Motive projiziert. Ansonsten kaum bewegendes Licht und die drei Herren irgendwo zwischen Dunst und Dunkel. Das einzige deutlich Erkennbare war die auf- und abwippenden Stirnlampe des «Geologist» Brian Weitz hinter seinem Synthesizer.

Die Synthies, sowieso tonangebend, zirpten los und die Party stieg. Es war ohrenbetäubend laut und die Bässe hämmerten gnadenlos. Zwischendurch gab's etwas Gitarre und Schläge auf ein Schlagzeugbecken – das war's dann aber auch mit den Instrumenten. Natürlich konnte man nicht die Animal Collective von der Studio-Aufnahme erwarten. Es war alles ein Spur reduzierter in der Komplexheit, dafür umso intensiver, spontaner und überwältigender. Die mehrstimmigen und wunderbar satten Gesänge kamen direkt aus dem Bauch und waren mit viel Hall unterlegt. Das Trio legte während des ganzen Auftritts eine unvergleichliche Spielfreude an den Tag. Bis zum ersten echten Unterbruch dauerte es eine geschlagene Dreiviertelstunde. Sie verwoben Songs ineinander, überbrückten mit sphärischen, repetitiven Klangmustern, bis plötzlich wieder eine Melodie auftauchte, die sich vom Album bereits im Ohr festgesetzt hatte, dieses bekannte Klangmuster und jener Beat. Sie grenzten die Songs kaum ab wie auf Platte, vielmehr tasteten sie sich langsam bis zu den Höhepunkten vor – alles war irgendwie freier, unbändiger und unvorhersehbarer. Was Animal Collective im Studio vorsichtig andeuten, lassen sie live ins Extreme fallen. Sie liessen kaum je Zeit um auszuatmen, der Auftritt forderte jede Faser des Körpers, jeden Sinn gleichermassen – und trotzdem war es ein Konzert um loszulassen, einzutauchen und zu geniessen. Diese glasklaren Beats! dieser epische, vielschichtige Gesang! – es war Musik ohne Schranken und ohne starre Muster. Nur das Publikum blieb eher verhalten – zu diesem gut eineinhalbstündigen Konzert hätte eine ordentliche Party abgehen können, ja müssen – immerhin tat sie dies vor meinem inneren Auge. Animal Collective boten einen Auftritt für die Seele gleichermassen wie den unbändigen Rebell in mir.