Dynamik, Baby!

Gewerbehalle, 22. Oktober 2014: Zum zehnten Mal gastierte Evelinn Trouble in Luzern. Ein unbewusstes Jubiläum, das unter dem besten Stern der Musikgötter stand. Da blieb sogar der ruhebewusste Nachbar für einmal daheim.

Laut sollte das Konzert werden, erzählte man an der Bar. Gar wurde befürchtet, ein Nachbar würde nach einem halben Jahr erstmals wieder im Raum stehen und sich beschweren: Die Kinder könnten nicht schlafen. Sollten sie auch nicht. Lieber hätte er sie mitgenommen und ihnen richtig guten Rock gezeigt. Rock, der laut sein muss. Denn nur dann entfaltet sich seine Dynamik. Ein Widerspruch? Nicht bei diesem Trio. Kriegsbemalung und Einteiler Evelinn Trouble x Flo Götte x Domi Chansorn lautet endlich die perfekte Formel für die namensgebende Zürcher Musikerin. Multiple Ohr-gasmen bei Rockern, Jazzern und überhaupt jedem Liebhaber guter Musik sind vorprogrammiert. Mit Chansorn sitzt einer der zurzeit vielfältigsten, wildesten Drummer am Schlagzeug. Lange Haare und Wirbelsturm-Gestik lassen ihn wie eine Indianer-Kraftwürfel-Kombination erscheinen. Götte zeichnet sich ebenfalls durch ein nahe grenzenloses Varieté an Jazz- bis Rock­-Fähigkeiten aus, switcht zwischen Gitarre und Bass. Neu mit Rickenbacker sowie Taurus-Pedal ausgestattet, untermauert er sein Image als einer der wohl spannendsten Schweizer Bassisten. Die beiden Groovemaschinen bilden denn die ideale Umgebung für ihre Sängerin: Dass Trouble mit ihrem leicht kratzigen, kraftvollen Organ zu den besten Stimmen der Gegenwart gehört, ist kein Geheimnis. Gänsehaut in den leidenschaftlichsten Momenten. Zusätzlich bedient sie Gitarre plus Keyboard und vernachlässigt mit Kriegsbemalung sowie einem auffallenden Einteiler den visuellen Faktor ebenfalls nicht.

Echt. Frisch. Unverkrampft. Dieser wird fantasiereich, ja sogar durchaus provozierend umspielt. Provozierend, das sind weiter die Bühnenansagen. «Hätte jeder von euch einen Cousin oder eine Cousine mitgebracht, würde jetzt Party herrschen»: Eine Aussage, die nicht jeder der knapp 20 Besucher an diesem Abend goutierte. Doch genau das macht Evelinn Trouble aus: Ihre Worte, ihre Attitüde und ihr Wirken sind echt, frisch, unverkrampft. Da wird keine einstudierte Entertainer-Lyrik geboten. Trouble sagt live auf der Bühne, was andere aus Angst vor Irritation im Kopf  behalten. Irritieren tut hierbei eher die Musikszene. Trouble spielt nämlich (unbewusst?) auf ein steigendes Problem an. Seit einiger Zeit mehren sich Aussagen, dass vielen Luzernern die Lust auf Live-Musik (einmal mehr) vergangen zu sein scheint. Zs, Thee Silver Mount Zion Memorial Orchestra, Reza Dinally beispielsweise: Richtig voll war keines jener besuchten, guten Konzerte in den drei Häusern Südpol, Schüür, Treibhaus. Lediglich die Jazzschule-Fraktion mit ihren Jam-Sessions oder gelegentlich ein Indie-Hit halten das Fähnlein einigermassen hoch. Die Publikums-Verschiebung scheint im Moment also eher Richtung Party mit DJ zu gehen. Vielleicht liegt’s aber auch daran, dass gute Rockmusik immer seltener wird.

Mockasin und die Insel Dabei hätte man sie an jenem Abend direkt vor der Nase gehabt. Bereits das dritte Mal gesehen, begeisterten Evelinn Trouble wie nie zuvor. Es wurde experimentiert, ohne bewährte Rezepte zu ignorieren, Avantgarde zelebriert, ohne Free-Jazz zu probieren. Kurz: Ein musikalisches Fest. Der steinerne Gewerbehalle-Raum gab dem atmosphärischen Rahmen schlussendlich den vollendeten Kick – die Zeit verging wie im Flug. Zweimal klatschten die Zuhörer die Band zurück. Das letzte Stück ein Cover: «It's Choade My Dear», geschrieben von Connan Mockasin. Ein Künstler, den Trouble, Götte sowie Chansorn an der vorletzten Bad Bonn Kilbi erlebten und der im Südpol unter anderem mit einem liegenden Publikum einen der magischsten Konzertmomente 2013 bot. Etwas, das eine Musikerin wie Trouble ebenfalls erreichen kann – aber im Moment nicht hierzulande. Deshalb wagte sie den grossen Schritt nach England, um dort ihre Karriere hoffentlich erfolgreich vorantreiben zu können. Und irgendwann wird der Nachbar seinen Kindern dann Folgendes sagen: «Die Evelinn Trouble hat mal  ganz in eurer Nähe extrem laut gespielt, aber der Papa ist ausnahmsweise nicht reklamieren gegangen. Weil’s halt schono verdammt gute Musik ist».