DisTanz = (Aufhebung(Zeit))(Aufhebung(Raum)) = endlos

Gestern Abend gastierte im neuen Theaterpavillon das Duo Distanz, das sich aus Markus Lauterburg (Perkussion, Komposition) und Beatrice Im Obersteg (Tanz, Choreographie) zusammensetzt, mit ihrem neuen Programm «endlos». Das Beste daran: Heute um 20 Uhr ist es am selben Ort nochmals zu sehen. Ich kann einzig bekennen: es lohnt sich schwer!

Ich stehe vor dem blauen Theaterpavillon. Rauchend, mit wunderhübschem Blick auf den Treibhausvorgarten – wo Redaktionskolleginnen, 3fach-Prominenz und andere vorbeihuschen – sowie hinter das Glas, hinein in die Bar. Sehe das Service-Personal sich hektisch zwischen den Tischen hin- und herbewegen. Das gedämpfte Licht drinnen im Kontrast zum eitlen Sonnenschein draussen, dreht die Szene ins Absurde. Auf den Fussballfeldern nebenan kickt die Jugend, der man spätestens seit dem neuen Peter-Doherty-Video eine gewisse Ästhetik nicht absprechen kann. Die Türen des Pavillons öffnen sich. Es ist Zeit. Am Anfang ist ein Tisch. Und eine Reihe Holzklötzchen, die in einer Kettenreaktion umfallen. Dann setzt ein bedächtiges Rauschen ein. Beatrice Im Obersteg beginnt die Geheimnisse des Lebens mit ihrem Körper, ihren Bewegungen, die mehr und mehr mit der Musik verschmelzen, auszudrücken. Wozu noch Worte?

Das Stück «endlos» ist die Frucht einer Zusammenarbeit, die sich bereits über einige Projekte erstreckt. Es wirkt gleichermassen schöpferisch wie apokalyptisch. Assoziationen steigen auf, während Im Obersteg sich mit unglaublicher Leichtigkit und Ausdruckskraft zwischen den zwei Stühlen – die neben Tisch und Holzklötzen die einzigen Requisiten sind – bewegt. Assoziationen die von Kubricks «2001» bis zu schamanistischen Weihungsriten mexikanischer Ureinwohner reichen. Das minimalistische Bühnenequipent reicht, um eine Illusion der aufgehobenen Schwerkraft zu erzeugen. Die Zeit im Aufführungsraum scheint still zu stehen, während draussen unbemerkbar eine ganze Stunde vorbeizieht. Zeit und Raum sind relativ, manipulierbar. Zumindest in unserer Wahrnehmung. Es ist bereits die fünfte gemeinsame Produktion, die heute aufgeführt wird – und das merkt man. Scheinbar telepathisch kommunizierten Tanz und Perkussion, beeinflussen sich wechselwirkend. Bewusst greift Distanz archaische, überpersönliche Themen auf, um sie in der Einsamkeit des Erlebens als Einzelschicksal darzustellen, was hier hervorragend gelingt. Das ist das Schöne an den «abstrakteren» Kunstformen. Jeder proijeziert sich selbst ins Geschehen hinen, erspinnt sich seine eigenen Zusammenhänge, deutet die üppige Symbolsprache anders.

Dass die spärlichen Requisiten aus Holz sind, das ein organischer Stoff ist und selbst eine gewisse Affinität zur Vergängichkeit hat im Gegensatz zu scheinbar «ewig» bestehenden, wie Stein oder (Krupp)Stahl, ist bezeichnend. Auf Artaud's Theater der Grausamkeit folgt das postmoderne Theater der Vergänglichkeit. Erst der Wunsch, unendlich verweilen zu dürfen, lässt die Brüchigkeit unseres Lebens bewusst werden.

Weitere Aufführung: Heute 20 Uhr, Theaterpavillon.