Disneyland Luzern

Südpol Luzern, 12.12.2014: 2013 haben die beiden 041-Rapper Marash & Dave ihr Debüt #wägeinischey rausgehauen. Nur ein Jahr später folgt das ebenfalls kostenlose Album «Disneyland», welches heuer im Südpol getauft wurde. Einblicke in ein Hip-Hop-Familienfest.

Es ist nur scheinbar gewagt, den Churer Rapper Ali voranzustellen, um für das Plattentauf-Konzert zweier 041-Repräsentanten einzuheizen. Er ist Hip-Hop-Brudi der Luzerner seit Jahren, und das wirkt sich auch auf die Sympathie bei den 041-Anhängern und -Anhängerinnen aus. So überrascht es nicht, dass er sich auf «Ali! Ali!»-Rufe und das Mitschreien des Publikums bei Refrains verlassen kann, mehr noch: der bündnerisch gesprochene «In Luzern bin ich der King»-Freestyle funktioniert problemlos. Hier haben sich alle gern, egal, woher sie kommen. Es ist ja schliesslich ein Familientreffen von Schwestern und Brüdern.

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Auch die biologischen Eltern der beiden Protagonisten finden sich während der Pause, von den DJs Luk LeChuck und Still Phill mit starken Bässen gefüllt, im Südpol-Club ein. Alis Einwärmrunde wird übrigens durch den Zürcher MC Freezy mit einer spontanen Acapella-Wiedergabe aus La mi ga beendet, einer Mundart-Rapschnulze, die bereits auf den Hauptact verweist, da Dave im Original dazu den Refrain beisteuert—das Publikum hat sich das von Freezy gewünscht, der mit schlichter, offener Winterjacke und sich nach eigenen Angaben schon etwas angetrunken auf die Bühne hievte. In der Pause läuft jetzt Ich rolle mit meim Besten (Haftbefehl feat. Marteria). Ein paar taumelnde Gestalten hie und da. Dann wird es Zeit: Babo Pablo bzw. Papa Vögtli kommt ansagen.

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Er lädt ein zu Stolz auf Luzern und einer Reise ins Disneyland. Der Beat von Horizont, dem Track Nr. 1 des Albums, erklingt, die melancholische Hook von Aleksej (Sänger der 041-Szene) steigt ein. Doch dann ein Bruch: das Album in der festgebrannten Reihenfolge kann man ja zuhause hören. Die Zeremonienmeister Marash & Dave brätschen auf die Bühne und performen erstmal gar keinen Song, sondern gehen zu einem nackten Beat auf Call&Response-Vollkontakt mit Publikum, um es zu grüssen. Dann kehrt mit Morgerot chronologische Treue wieder ein—im Juni haben sie damit auf Youtube ihre Album-Kampagne gestartet (und es ist Nr. 2 auf der Tracklist). Ein paar belehrende Worte zum Albumtitel leiten über zu Maskerade. Sie spielten ja gerne alles mögliche, solange sie nicht sich selber sein müssten. Deshalb nun Batman, der einzige dicke Eier-Track auf der neuen Platte, wobei die Featurings (Didi und CBN) leider ausgelassen werden. Es folgt eine kurze Eigeninterpretation von Kids des Rappers Marteria, der neben Sido vermutlich berühmteste Maskenträger im Deutschrap (Marsimoto). Und wenn schon Zitate, dann auch noch gleich Bugatti von Ace Hood et al. Stilwechsel: Scheinwerfer aus, Displays & Feuerzeuge an, der Titelsong Disneyland—eine lakonische Anti-Hymne auf die Tourismus-Destination am Fusse des Pilatus: «Vorem Bucherer. Mer send Schtateschte.»

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Bald Zwölf. Der Taufschaum ergiesst sich über dem Partyvolk. Die beiden Künstler unterbrechen die Arbeit und tanzen zu schaler Techno-Musik, in kitschigen Farben das Lichtsystem am durchdrehn, Schlagerparty ahoi. Und nun, die Freude am Mitfeiern des Publikums ist gross, soll die Hit-Single (Dave: «öise Lieblingssong») zum Besten geboten werden. Jagd! Marash, gerade noch voll auf die Zuhörerschaft konzentriert, verpasst seinen ersten Einsatz als Backup von Dave, allgemein ist eine Anstrengung spürbar, den technisch nicht ganz anspruchslosen Song auf den Beat zu bringen, der ihre Stimmen zu übertönen droht. Auch bleibt in der Live-Performance die Bildgewaltigkeit des Videoclips aussen vor. Erleichterung, wenn die weibliche Hälfte im Publikum zum Mitsingen im Refrain aufgefordert wird und damit ein überzeugender Chor sich im Raum entfaltet: «Chom mer gönd of d'Jaaaaaagd!» Passend knüpft Primakova Girl daran an, der «Sommerhit» auf dem Album, Alphabitches zum Thema, wofür LCone sich auf die Bühne gesellt. Dieser Song nun erfreulich live-tauglich, die drei Sprechsänger geraten in einen gemeinsamen Flow, Boygroup-ähnlich tänzeln sie trommelfellstreichelnd herum. Im selben Trio wird 041 performt. Danach darf LCone noch sein ganz eigenes Prunkstück vortragen. Er bedankt sich, verabschiedet sich. Es ist Zeit für die üblichen Konzert-Superlativen: allen voran das beste Publikum.

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Wessen Abwesenheit würde man bei einem Familientreffen bemerken? Die des Ruhmvollsten aller Geschwister vermutlich. Als weiterer «Brudi» und zugleich Mitbewohner wird er angekündigt. Mit Pablo im Rücken steigt der King vom Thron hinab (das heisst: von der Tanzfläche hinauf), und versprüht im ganzen Raum seine Bossaura zu Scho sit Tag eis, wo Dave die Hook singt und Marash die Rolle des stummen Animators zu übernehmen hat. Und nochmals geht es zurück an den Anfang: Wäg Einisch war der erste veröffentliche Clip von Marash & Dave. Dann eine erste Dankesrunde an alle Mitwirkenden des Abends. Und dann nochmals ein Bruder, bei dem Dave den Refrain beiträgt und Marash «wie beim Ballermann» vortanzt: Emms Wenns dich gid. Auch fürs Fotoalbum wird mit Oliver Baer ordentlich gesorgt, das Saallicht angefordert, der Fotograf steigt auf ein Podest auf der Bühne, gibt Anweisungen, das Familienfoto wird geschossen. Mit Rose & Schnee stimmt erneut Aleksej in eine anwidernde Selbstbesinnung ein, die im Album immer wieder anzutreffen ist. Danach die zweite Dankesrunde: alle am Projekt Marash & Dave Mitwirkenden. Die Taufzeremonie ist hiermit beendet. Das Feld für die letzten Narrenstreiche offen

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Der Erste: Tokio-Blueme («unser Lieblingslied auf dem alten Album»). Mit einem sehr tanzbaren Refrain-Beat in den rap-freien Teilen. Im Anschluss wird in stilechter Antoine-Manier das eigene Am-Arsch-Sein bekundet. Der Zweite: Weezy, Track Nr. 9 auf dem zehnaktigen Disneyland, eine Hommage an das Phänomen Lil Wayne. «Ond etz nomol alli Händ ufe, so voll sektemässig!» Der Dritte ist der Beste, denn Abende, die Helden gebären, sind legendäre: seit dem ersten Auftreten LCones verlangten Störenfriede aus dem Publikum (quasi die verhaltensauffälligen Cousins) den Vortrag von 14er Bizeps. Die Herren auf der Bühne haben diesen aber weder Beat- noch Text-mässig noch im sicheren Repertoire. Doch es wird nachgegeben: der Beat wird per Smartphone heruntergeladen und jemand aus dem Publikum kommt die MCs beim Performen ihrer Kreation unterstützen. In solidarischer Improvisation gelingt eine ungefähre Darbietung des Stückes, unterhalten sind alle. Der vierte und letzte Streich ist die Zugabe: Aschess. Wobei dieser Titel keineswegs etwas über die Arbeitsbereitschaft der Artisten berichtet. Während die Südpol-Techniker Kabel zusammenwickeln, Luk LeChuck eine Handvoll Tanzlustiger antreibt und die 041-Familie in gesprächsfreundliche Grüppchen sich gliedert, reichen sich die Stars von Fan zu Fan, um ein Wort zu wechseln und sich ablichten zu lassen.