Die tätigen Hände des Ian Fisher

Neubad, Luzern, 31.10.2018: Zum Abschluss seiner Tournee macht Ian Fisher mit seinem neuen Album «Idle Hands» im Neubad in Luzern halt. Vor dem Konzert trafen wir ihn zum Gespräch. Es ging um Ehrlichkeit, die Wonnen des Schreibens, Country in Europa und ein wenig Orangensaft.

Kaffee? «Nein, lieber nicht. Irgendein Saft wäre gut. War eine lange Nacht gestern.» Mit Ian Fisher setze ich mich an einem kalten Nachmittag in ein bekanntes Bistro in Luzern. Der Musiker ist in Missouri geboren und aufgewachsen und lebt nun seit zehn Jahren in Europa, vorwiegend in Wien. In Luzern geht seine einmonatige Tournee zu Ende, auf der er sein neues Album «Idle Hands» vorstellte. Sein dreizehntes Album kommt anders daher, als das Dutzend zuvor.

Denn im Gegensatz zu seinen vorherigen Werken, die einer Singer-Songwriter-Perspektive entsprangen, ist das neue Album das Ergebnis einer engeren Zusammenarbeit mit seiner Band. «Wir hatten diesmal einen konkreteren Gameplan.» War früher alles eher zusammengebastelt, entstand der Grossteil diesmal innerhalb einer Woche in einem Studio in Berlin. Inspiriert von Bands wie beispielsweise Fleetwood Mac oder Bill Withers, ist «Idle Hands» deutlich grooviger, die ganze Produktion klingt voller. Sie steht nicht mehr bloss in der Tradition der Country/Folk-Songwriter, sondern ist auch eine Neubeschwörung der 70er-Jahre-Vibes.

IanFisher
Jetzt ein Glas Orangensaft: Hat Ian Fisher einen Hangover?

«Ich verdiene einen Scheiss auf Spotify»

Wenn er das Album in einem Wort beschreiben müsste? «Fuck. Nur ein Wort?» Er zögert lange, denkt nach, nimmt einen Schluck Orangensaft. Dann blickt er wieder auf und sagt: «Ehrlich. Ich verstecke mich nicht hinter den Lyrics.» Und tatsächlich strotzen die Songtexte vor Ehrlichkeit. In und zwischen den Zeilen lässt sich ein versierter Songwriter erkennen. Kein Wunder, denn Fisher hat bereits weit über 1000 Songs geschrieben. Er sei ein sehr fleissiger Schreiber, auch wenn er jetzt während der Tour nicht mehr so dazu gekommen sei. «Wenn ich mal anfange, dann kommt viel heraus.» Ich frage ihn ob er den Akt des Schreibens mag. Seine Augen leuchten auf. «Ja, ja, es ist eines der wenigen Dinge, die ich am Musikbusiness wirklich mag. Ich hasse das Musikbusiness. Aber Schreiben, das geniesse ich am meisten. Dieses Gefühl, einen Song fertig zu schreiben... Es fühlt sich transzendent an, als ob man seinen Zeh in die Unendlichkeit taucht.» Er zögert wieder kurz, als ob er etwas schwer greifbares in Worte zu fassen versucht. «Ich weiss nicht. Als ob man einen kurzen Moment lang unsterblich wäre. Eine tiefe Verbundenheit mit so etwas Abstraktem wie andere Menschen, Gesellschaft. Als ob man etwas gebären würde.»

Welche Songs es dann schlussendlich auf ein Album schaffen, sei meist eine pragmatische Entscheidung. Es sei wichtig, was live überhaupt beim Publikum ankomme, sagt er. «Ich wünschte, das wäre nicht so, doch als professioneller Musiker muss ich live spielen. Das bringt das Geld. Ich verdiene einen Scheiss mit Spotify, und niemand kauft mehr Alben.»

Countrymusik: Hinterland und Pferderücken?

Dann wird er wieder nachdenklich. Er würde gerne mehr ruhigere Songs spielen. Doch an dem Punkt seiner Karriere, an dem er sich befinde, sei das schwierig. Man mache sich halt schon Gedanken, wenn der grosse Durchbruch selbst nach so langer Zeit nicht kommt. Oft habe er das Gefühl, dass er sich die Aufmerksamkeit des Publikums durch Energie erkämpfen muss, was nicht wirklich zu seiner Persönlichkeit passe. Er sei mehr der Melancholiker. Vielleicht projiziere er das auch nur. «Dafür bin ich noch immer wütend genug», meint er grinsend.

Eine Schwierigkeit liegt vielleicht darin, dass Fisher mit Folk und Country eine Musikrichtung vertritt, die in Europa in der Regel negativ konnotiert ist. So freut er sich zwar darüber, vom Rolling Stone Magazine America auf die Liste der «10 Country Artists you need to know» aufgenommen worden zu sein, aber eben, das sei in Amerika. «Hier denkt man schnell an Hinterland und Gesinge auf einem Pferderücken, aber das sind nicht meine Themen.» Fishers Perspektive ist viel breiter. Er mischt Persönliches mit Sozialem, versucht, weitgreifendere Fragen zu stellen. So zum Beispiel im Titeltrack «Idle Hands» selbst. Dieser basiere einerseits auf einem persönlichen Erlebnis, andererseits gehe es um die Angst vor der Unnützlichkeit. Die Angst davor, zu merken, dass es nichts mehr zu tun gibt. Was tut man dann? «Alles was wir tun, kann irgendwann von einer Maschine besser gemacht werden», sagt er.

IanFisher

Stunden später steht Ian Fisher mit seiner Band auf der Bühne des Neubadkellers. Trotz Halloween ist niemand verkleidet. Ausser vielleicht Fisher selbst: «Als Cowboy-Hipster. Wie jeden Tag», meint er selbstironisch. Der Band ist unüberhörbar eingespielt. Nach der intensiven Tour scheinen sie schon fast telepathisch verbunden. Man merkt ihnen den gemeinsamen Monat an, im positivsten aller möglichen Sinne.

Von Balladen über groovige Songs zu Duetten bis zu klassischeren Country-Rhythmen, decken Fisher und Band alles ab, nachdenklich und witzig. Eine Mischung aus Liedern vom neuen Album und einer Auswahl aus dem umfassenden Katalog der vergangenen Jahre. Kein Funken Unsicherheit. An diesem Abend muss er sich die Aufmerksamkeit des Publikums nicht erkämpfen. Fisher scheint seinen vorerst letzten Auftritt sehr zu geniessen, und auch die Band strahlt Zufriedenheit aus.

Ich erinnere mich an den Nachmittag zurück, als Fisher mir, kurz bevor wir das Bistro verlassen und in die Kälte hinausgehen, lächelnd sagt: «Es sind keine rationalen Entscheidungen. Warum ich Country und Folk spiele? Warum ich noch immer in Europa lebe? Das ist nicht rational, das ist ein Gefühl, dem ich folge.» Ein wandernder Musiker, der aufmerksam die Welt betrachtet, mit der Gitarre auf dem Rücken und noch viel zu sagen. Dann streckt er sich, verzieht das Gesicht, und sagt in allzu bekanntem Halbernst: «Aber trinken werde ich nie wieder.»

Ian Fisher: Idle Hands (2018)
Weitere Infos und Download: www.ianfishersongs.com