«Die Panzer aus Israel sind schnell»

Viereinhalb Jahre hat Karin Wenger aus dem Nahen Osten hautnah über den israelisch-palästinensischen Konflikt berichtet. Ihre Erfahrungen hat sie in einem Buch gebündelt – gestern hat die 29-Jährige im Romerohaus daraus gelesen. Ein packender Abend von einer guten Erzählerin.

Karin Wenger begann unverblümt und direkt: «Schwere Kost» werde es geben heute Abend. Und eine Einführung in die Thematik erübrige sich, da ja «alle so alt sind hier». Grosse Lacher. Sie meinte natürlich, genug alt, um den Nahost-Konflikt und seinen Ursprung zu verstehen. Und es zeigte bereits schön, welchen nüchternen Ton sie in diesem sehr emotionalen Thema anschlug. (Und natürlich hatte sie schon Recht: Das sehr zahlreich erschienene Publikum war eher älterer Natur.) Während viereinhalb Jahren berichtete Wenger vor allem für die NZZ aus dem Nahen Osten, wohnte im Gaza, in Ramallah im Westjordanland und zuletzt in Syrien. Dass sie überhaupt in den Nahen Osten kam war Zufall, ja ein Missverständnis gar. Als Volontärin bei der NZZ sollte sie ursprünglich nur eine Woche im Gaza verweilen, da sie aber kaum etwas wusste über das Gebiet, habe sie das schlechte Gewissen getrieben, die ganze Thematik besser zu verstehen. Also studierte sie ihr letztes Semester an der Uni in Birseit im Westjordanland. Der erste Satz, den sie auf Arabisch übrigens lernte war: «Die Panzer aus Israel sind schnell.» Ein Zeichen dafür, wie tief der Konflikt in allen Lebenslagen schon verankert ist. Und danach blieb sie, weil «plötzlich alle etwas von mir wollten.» Arafath war gestorben, und die Welt richtete ihre Augen auf Palästina.

Wenger erzählte gestern viel aus dem Stegreif und las zwischendurch immer wieder Ausschnitte aus ihrem Buch «Checkpoint Huwara – Israelische Elitesoldaten und palästinensische Widerstandskämpfer brechen das Schweigen» (hier gibt's eine Leseprobe). Sie tat dies nie mit übertriebenem Pathos, im Gegenteil: sehr direkt, immer unverblümt und in einer klaren Sprache. Sie begann mit Interviews, die sie mit Israelischen Elitesoldaten geführt hatte, für die der Krieg zum Selbstverständnis geworden ist. «Es ist nur noch Professionalität, nichts anderes», resümierte ein Soldat aus einer linken zionistischen Familie etwa. Und sie erzählte von der Gruppierung «Break The Silence», die dagegen ankämpft, dass man in der Israelischen Gesellschaft kaum über die Kriegserlebnisse spricht. Eindrücklicher waren aber ihre Erzählungen aus dem Gaza und dem Westjordanland – merklich ihre wirkliche Leidenschaft. Über das Leben im Gaza, das einzig durch das Meer noch einigermassen erträglich ist oder das Mövenpick-Hotel, das jetzt fertig aber leer ist. Bei all den trostlosen Geschehnissen: Wenger behält in ihren Schilderungen auch ein gesunde Portion Humor. Man erfährt über absurde Entführungen, die Schmugglertunnels nach Ägypten und das Ende der Clanherrschaft dank der Hamas. Ramallah hingegen sei die Stadt in die alle Fördergelder fliessen und deshalb boomt, erfährt der Zuhörer. Auch die Fotos, die Wenger auf Grossleinwand präsentiert, haben es in sich und fesseln die Zuhörer. Eineinhalb Stunden sind schnell verflogen, ein letztes Bild zeigt den israelischen Elitesoldaten Shai zusammen mit dem Palästinenser Mohammed in Ramallah bei einem Bier. Ein Treffen, das durch Karin Wenger zustande kam und heute nicht mehr möglich wäre, wie sie sagt. Während ihren Erzählungen ging es mehrheitlich um Menschen und Schilderungen – in der anschliessenden Fragerunde wird es politischer – die Stimmung erreicht ihren Spannungshöhepunkt, als ein Redner Wenger vorwirft, propalästinensich zu sein. Was sie in der Runde auch nicht bestreitet – im Gegenteil: Sie unterstreicht deutlich, dass für sie Israel eine Besetzungsmacht ist und mit Kriegen wie jüngst im Gaza wiederholt das Völkerrecht verletze. Doch mehrheitlich sind die Publikumsfragen neugieriger Natur: Wie ihre Erfahrungen als Frau im Nahen Osten gewesen seien. «Es war einfacher für mich», so Wenger. Da sie jung sei, wurde sie nicht als Gefahr wahrgenommen und sie hatte Zugang zu Frauen und Männern. «Ich wurde aber auch nie ernst genommen, aber das ist egal.» Übrigens: Man erfuhr gestern auch, dass Wenger in Zukunft aus Indien berichten wird.

Karin Wenger ist noch bis im Mai auf Lesetour. Daten hier