Die Fliege des Bräutigams

Südpol Kriens, 09.10.2015: Ästhetik trifft auf Aggression und wird musikalisch und tänzerisch in Szene gesetzt: Die Aufführung von THE WEDDING PARTY MASSACRE ist ein programmatisches Irgendetwas zwischen Performance, Konzert und Tanz.

Dunkel. Bisschen Rauch. Die Bühne ist vermeintlich leer. LED-Lichter in Form einer geometrischen Fliege erscheinen und verschwinden gleichsam von der Bühne. Das Publikum formiert sich für die multimediale Inszenierung von THE WEDDING PARTY MASSACRE, eine Produktion unter der Regie des Basler Musikers und Theatermachers Fabian Chiquet, seines Zeichen Gründungsmitglied der erfolgreichen Schweizer Popband The bianca story.

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Die Eröffnungsszene – angepriesen als Part I : CREATION – flimmert als stumme Abfolge entschleunigter Bildmotive über die Projektionsfläche im Hintergrund. Eine Tintenemulsion breitet sich langsam im Wasser aus, Kristalllandschaften drehen sich, Rauchformationen bannen sich ihren Weg über die Leinwand und man fühlt sich wohlbehütet im Auftakt einer harmonischen Narration. Nach den kontemplativen Aufnahmen einer modellhaften Wohnsiedlung ist die Szenerie der ephemeren Bildinhalte vorüber und mittels Kurz-Choreos beginnt die musikalische und tänzerische Intervention. Archaische Trommelschläge wechseln sich mit rohen Gitrarrenriffs ab, deren Interpreten durch geometrisch-abstrahierte Schattengebung hervorgehoben werden. Die Bühne verwandelt sich in eine morbide, von latenter Aggression umgebene Atomsphäre, die das kämpferisch-kriegerische Potenzial einer bevorstehenden Ehe auf der Metaebene zu interpretieren versucht.

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Etwas irritiert und mit dem Gefühl der Ahnungslosigkeit alleingelassen beginnt Part II: THE MASSACRE. Das dritte Segment startet mit schemenhaften und projizierten Karaokelettern, die von einer Art Frontmann einer sechsköpfigen Pseudo-Gangster-Gang ins Mikrophon geschmettert werden. PARTY THE PAIN AWAY oder LED PARADISE brennen sich dank grellem Strobolicht in die Optik der zahlreichen Besucherinnen und Besucher und werden mit Visuals von spritzenden Champagnerflaschen begleitet. Auch ein Spielzeughelikopter erhält seine 15 Sekunden Ruhm auf der Bühne. Die sechs Ensemble-Mitglieder tanzen, performen, singen, rappen und agieren in permanentem Hell/Dunkel-Kontrast und versprühen eine stetig aggressive und kampfeslustige Grundstimmung. Mit einem hohen energetischen Potenzial und einer ausgeprägten Körperbeherrschung erhalten die Performer eine starke Präsenz auf der Bühne, was sich mehr in der tänzerischen als der gesanglichen Qualität widerspiegelt. 2015-10-09 20.46.29

Vergegenwärtigt man sich den einzigen inhaltlichen Aufhänger, nämlich die Titulierung des Stücks, versucht man vergeblich dem Erzählstrang zu folgen. Was hat es mit einer Hochzeit zu tun? Welches sind die Partyelemente? Und was bitteschön wird hier massakriert? Auf der inhaltlich-erzählerischen Ebene wird man weitestgehend alleine gelassen, dafür mit Ästhetikpreziosen überhäuft. Bühnenoutfits mit Bronx-Attitüde gehören genauso zum Erscheinungsbild wie die adaptierte Körpersprache.

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Im dritten Akt – LOVE – wird das grundsätzlich in Schwarz/Weiss gehaltene performative Spektakel mit einer irisierenden Farbkomponente erweitert. Knallbunter Discogroove dominiert fortan die zittrig-roboterhaften Bewegungen der Tänzer, im Hintergrund erscheint ein vermeintliches Zitat an Duchamps Rotoreliefs und die Platitüde von SUCK IT IN, BREATH IT OUT, GOOD OR BAD, LOW OR LOUD beschallt die Publikumsohren. Spätestens zu diesem Zeitpunkt sehnt man sich an die Variabilität der Bildsprache in Fabian Chiquets früherer Musik- und Tanztheater Produktion PARADE zurück, die ebenfalls auf einer konzeptuellen Idee von Jean Cocteau aus den Anfängen des 20. Jahrunderst basiert.

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Am Ende der Vorstellung hat man zwar eine packende, energiegeladene Multimediashow hinter sich, aber bleibt mit einem irritierten Blick zurück und ringt mit Gedanken an eine inhaltliche Erklärung. Die Überästhetik negiert die inhaltlich Ebene fast vollkommen, so dass Glitzer, Strobolicht und schattenhafte Bewegungen zu den Dominatoren des Stücks mutieren. Man erhält einen dichten Teppich an Effekten, die allesamt im Dienste einer durchkomponierten Choreografie stehen und die Aufteilung in drei Akte in Frage stellt. THE WEDDING PARTY MASSACRE ist technisch einwandfrei in Szene gesetzt, musikalisch mit einer repetitiven Selbstverständlichkeit umgesetzt und tänzerisch mit einer beachtenswerten Leistung zu bewerten.

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Konzept und Musik: Fabian Chiquet / Performance: Joel Fonsegrive, Jonas Wolf, Moritz Vontobel, Henry Monsanto, Miryam Garcia Mariblanca und Fabian Chiquet / Video: Gregor Brändli / Dramaturgie: Victor Moser / Choreographie: Marcel Leemann / Ausstattung: Aline Gschwend / Animation: Alain Grüter / Lichtdesign: Tobi Moosmann / Sounddesign: Stefan Uiting / Projektleitung: Eva Heller / Koproduktion mit Gessnerallee Zürich, Haus der elektronischen Künste Basel, Konzert Theater Bern und Südpol Luzern / Unterstützung: Fachausschuss Tanz und Theater BS/BL, Pro Helvetia, Migros Kulturprozent, GGG, Fondation Nestlé pour l'Art, Ernst Göhner Stiftung, Bürgi Willert Stiftung, Burgergemeinde Bern