Die Erde hebt ab

Südpol, 15.03.2014: Wie stehle ich dem Hauptact die Show? Eine Frage, die Hendrix beantworten könnte. Oder GAiA: Der Luzerner Vierer liess die amerikanischen Künstler Blackbird Blackbird und Benoît Pioulard zum Rahmenprogramm verkommen.

Kalifornisches Wunderkind, blabla, trendsetzende Musikwebseiten schreiben darüber, blabla, Luzerner Band eröffnet Gig, blabla. Der Promotext vom Südpol könnte einen Goodwill-Klassiker suggerieren: Talentierter Act aus dem Ausland für den Headlinerslot und eine kleine Schweizer Formation, die dabei sein darf. Selbst wenn die «wir stehen nicht zu lokalen Bands»-Episode inzwischen verblasst ist, könnte Mensch meinen, dass sie an jenem Konzertabend ein wenig in der Luft schwebte. Zu Recht? Zuerst spielte der amerikanische Musiker Benoît Pioulard. Vielleicht schlief er aber auch auf der Bühne: Geschlossene Augen in Kombi mit Gitarrenschrammeln (inklusive Falschtönen) weckten den Verdacht. Zitat Besucher: «Ich blieb solange drin, bis mich eine Freundin aufgeweckt hat». Langweilig und unspektakulär, eigentlich relativ belanglos erschien der Sound. Schwach. Fairerweise muss betont werden, dass trotzdem einige positive Gefühle für den Amerikaner da waren. Man musste sich halt darauf einlassen. Trotzdem die Frage: Singer-Songwriter an einem Abend, wo zwei Technoformationen den Mittelpunkt bildeten? Schwierig.

Synthesizer-Universum GAiA waren klar das Zugpferd des Abends. Das demonstrierte nur schon die rapid gestiegene Besucherzahl. Elektronische Musik – Techno, House, Acid beispielsweise – mit Instrumenten: Viele Synthesizer (Gearporn pur!), Schlagzeug, Perkussion. Diese Truppe sollte besser nicht betrunken auf die Bühne: Was hier gespielt wurde, entzieht sich der blossen Kenntnis à la «wir nehmen eine Gitarre und schrammeln ein paar Akkorde». Programmierte Sequenzen, Arpeggiatoren (aufeinanderfolgende Töne) und Klänge, die Galaxien beschreiben, waren da nur der Anfang. Der synthetische Klangerzeugnis-Aspekt, hinter dem Mathematik steckt, erfordert pure Präzision und Konzentration – Erst recht live! Time (Taktgefühl) muss in der Folge vor allem bei Live-Schlagzeugern und -Perkussionisten überirdisch sein. Im Prinzip dienen die beiden Tastenspieler hinter ihrer «Wall of Synth» als Kopf der Geschichte, während Drum und Perkussion links und rechts den Part der Hände übernahmen. Die Aufgabe der Beine kam dem Publikum zu. Und ja, Luzerner Konzertgänger können das tatsächlich: Tanzen! Zwar nicht in absoluter Ekstase, doch für den Anfang nicht schlecht. Fette, groovende Electrobeats und dicke Synthspuren schrien förmlich danach. Gerade wenn die Augen geschlossen waren, taten sich viele Szenarien auf. Wow! Der Bandname («Gaia» ist die personifizierte Erde) mutete gar untertrieben an, eröffneten die vier Musiker doch eher das Universum. Ihre ersten fünf, sechs Lieder konnten in den Bereich «Electronic Dance Music» gesetzt werden, welcher international funktionierten könnte, aber nicht musste. Das änderte sich jedoch, nachdem Flavio Steiger (einer der Synthietaster)  das Mikrophon in Beschlag nahm. Sein kräftiger Gesang in Kombination mit einem sehr dreckigen Delay (Echoeffekt) liess Gänsehaut entstehen. In diesem Moment stand nicht einfach eine Schweizer Band, die verdammt gute Musik macht, auf der Bühne. Nein, in diesem Moment stand eine Formation auf den Brettern der Welt, die richtig gross werden könnte. Sobald der Spannungsbogen noch ein wenig besser gehalten werden kann (häufig zu merken an weniger Tanz und mehr Gelaber im Publikum) und die üblichen Erfolgsfaktoren funktionieren, sehe ich GAiA abheben. Zu wünschen wäre es ihnen! Wer so lange im Bandraum an Synthesizern herumschraubt und programmiert, hat diesen Weg verdient. Denn der Aufwand ist gigantisch.

Überraschungsarmes Wunderkind Musiker mit Affinität zum elektronischen Klangdschungel können also mit Synthies und Co. herumhantieren. Wem das zu anstrengend (siehe beispielsweise der GAiAsche Kabelsalat) oder teuer ist, kann sich aber auch mittels Computer den Zugang zu jener faszinierenden Welt erarbeiten. Das Wunderkind Mikey Marmag alias Blackbird Blackbird hat letzeren Weg gewählt. Mit Laptop und Mikrophon baute er sich auf und säuselte über Electrospuren seine Gesanglinien in den Südpol Club. Hätte niemand angekündigt, dass der Hauptact noch kommen würde, wäre dieser wohl vergessen gegangen. Die Schweizer Vorband hat dem Kalifornier fast schon brutal die Show gestohlen. Altbackene Visuals und xfach gehörte Melodien halfen da wenig. Fazit: Schwaches, amerikanisches Rahmenprogramm. Während das Publikum in Aftershow-Laune pläuderlete und Bierchen trank, zog Marmag seine Songs durch und verschwand nach kurzer Zeit mitsamt Freundin Richtung Hotel, weil am kommenden Tag ein Gig in Polen anstand. Immerhin: Sympathisch war der junge Mann. Und ein grosser Game of Thrones-Fan, wie er im Backstage verriet. Dies half aber leider wenig: Das musikalische Spiel der Könige gewannen an jenem Abend ganz klar GAiA (der schlechteste Übergang in der Geschichte des Musikjournalismus © by Stoph Ruckli).