Die Band isch besser

Kleintheater, 5.4.2014: Die Eröffnungsparty des Internationalen Comix-Festivals Fumetto wurde gleich mit der Ehre gekoppelt, dass Stahlberger ihre Tour zum neuen Album «Die Gschicht isch besser» in Luzern begonnen haben. Für ein tolles Konzert einer grandiosen Band. Und erst noch in Mundart.

(Bilder: Jonathan Winkler & Stoph Ruckli)

Wenn wir richtig gerechnet und genau aufgepasst haben, spielen Stahlberger im Kleintheater 19 Stück. «Bärge» – «S Matterhorn will nüme Matterhorn heisse», und noch eine lokalpatriotische Passage… «Und d Rigi / Heisst Müller, da isch chli normäler / Und de Napf heisst jetzt Keller» – zählt nicht, das ist erst ein Text-Fragment, die Musik fehlt noch. Es wird, so scherzt Manuel Stahlberger, auf dem nächsten Album drauf sein, das ein Konzeptalbum sein wird, nur mit einem einzigen langen Stück drauf. Das sind wir ja gespannt. Also, das jüngste und dritte Stahlberger-Album «Die Gschicht isch besser» wird vorgestellt, assortiert mit Songs aus den früheren Scheiben «Rägebogesiedlig» und «Abghenkt». Das gibt dann schönes Wiederhören mit «Gwaltbereiti Alti», «Wanderwätter», «Schleuse», «Heimat» oder «Immer wieder use». Was les ich da in der allerneusten, gerelaunchten «SonntagsZeitung»: «Der Ostschweizer Sven Regener ist saugut.» Und: Manuel Stahlberger sei Sänger und Kabarettist. Aber nur weil auf Wikipedia steht, er sei Kabarettist, muss es noch lange nicht stimmen. Und der Vergleich mit Regener: Mumpitz. Zum letzten Mal: Manuel Stahlberger ist kein Kabarettist. Aber ein Fünftel von Stahlberger, der Band. Er schreibt die Texte, singt sie, spielt Ukulele, Synthie und Stromgitarre. Und zwischendurch wird wenig bis kaum geredet. Nach der schön pumpenden Seteröffnung mit «Vögel» die Begrüssung: «Wir sind aus St. Gallen. Wir sind eine Band. Stahlberger. Wir heissen auch alle Stahlberger.» Später dann: Es gäbe noch das Büro, geschrieben als «Bureau», also das «Bureau Stahlbitter», das macht in Aarau im Herbst die Visuals und Sounds zu einer Installation in einer Galerie (wie heisst sie schon wieder?). Es existiert auch, für die Kleinen, das Unternehmen «Stahlbitterli». Von ihm ist demnächst die Geschichte von «Frechdax und Halbdachs» (oder umgekehrt?) zu erwarten.

Im Vergleich mit anderen Bands erschienen die Ansprachen des Frontmannes dann aber doch gar lang – sei es aus Gründen der Show oder dem Gitarrenstimmen. Machen jedoch Sinn, weil sich damit die Banalität der Stahlberger-Lyrics klarer herausschält, sozusagen die Vorgänge im Texterkopf klarer darstellten. Und ihm in ihren besten Momenten sogar ein Lachen entlockten. Was laut einem Interview im «Ostschweizer Tagblatt» bloss alle 50 Konzerte passieren würde.

Genug gescherzt. Es ist ein Konzert mit viel guter Musik. Visuals hätte es auch noch, linkerhand, die sehe ich aber leider nicht, sicher total spannend.

Oh ja, sehr spannend! Aber sind wir ehrlich: Visuals, das verstände man im englischsprachigen St. Gallen, wo sich laut Manuel Stahlberger alle für den eigenen Dialekt schämen würden, ohnehin nicht. Dessen Bilder auf einer kleinen Beamerprojektion waren in ihrer Grösse zwar eher Brimborium, sorgten aber für den ersten zünftigen Lacher bei der Erwähnung: «Alles ist grösser geworden bei Stahlberger, weshalb wir nun auch mit Visuals arbeiten.»

Die Songs des neuen Albums werden zügig und auch schön aufgeraut vom Quintett gebracht («Hornusse» fehlt – Aufmerksamkeitslücke oder wirklich wahr?). Es ist sogar Tanzmusik. Vorne, wo die Stühle fehlen, wird im Pulk gewackelt. So viel Rauch war nie im Kleintheater. Stahlberger haben ihre eigene Kunstnebelerzeugungsmaschine mitgebracht und machen tüchtig davon Gebrauch (stets präsent die Furcht, dass der Drummer demnächst an einer Rauchvergiftung in Kombination mit körperlicher Anstrengung zusammenklappen würde). Das Licht tendenziell bläulich. Das ergibt keine düstere Stimmung, aber eine melancholisch verwehte. Besonders dann, wenn eine Mundharmonika ertönt. Ansonsten Gitarren, Bass, Drums und viel Synthie. «De grööscht Maa», Album-Opener und im Konzert an zehnter Stelle intoniert, kommt «mit einer Choreografie», was hier heisst, dass Schlagzeuger Dominik Kesseli das Schlagzeugspielen für einmal sein lässt und vorne mit in die Saiten greift. Eine kleine Wall of Guitars. Michael Gallusser und Christian Kesseli können locker von Tasten zu Saiten wechseln, derweil Marcel Gschwend (aka Bit-Tuner) schön grundierende Bassläufe (auch mal synthetische) beisteuert. Fazit: ein tolles Konzert von einer der im Moment spannendsten Bands weitherum. Das Gegenteil darf nicht behauptet werden.

Womit Kollege Hau den Ball brachial zupasst: Das schreit nach einem Nachtrag punkto Fazit. Keinem mit Gegenteil-Charakter, aber doch der einen oder anderen Bemerkung. Es war nämlich nicht alles toll an diesem Abend. Eher makaber. Unmöglich in einem Satz zusammenfassbar. Bisher machte sich bei mir in Anbetracht des Stahlberger-Hypes immer Zwiespalt in Kopf und Herz breit. Da feiern die Jahrgänge, in der Regel 1980 und tiefer, diese St. Galler Band und Journalisten schwärmen in Zeitungen von der Genialität des Frontmannes. Fast traut man sich nicht, was dagegen zu sagen oder zu schreiben. Muss trotzdem sein, denn nach dem Befassen mit dem Album hat der Auftritt das letzte Quäntchen Schub in Richtung «Contra» gebracht. Musikalisch lag das Konzert zwischen Monotonie, mit sorgsam dosierten Ausbrüchen. Gerade letztere in Form von Stücken wie «Flowil» (viel Einsatz, viel Epos, viel Gitarrenmacht) oder «Wanderwätter» (der Groove, der Groove!) blieben im Gedächtnis haften. Doch der monotone Aspekt erschöpfte und liess den Anlass noch länger dauern, als er ohnehin schon war (siehe die eingangs erwähnte Stückzahl). Was gesungen wurde, hat man im Kleintheater an meiner Standort (zwei Meter vor der Bühne, Mitte) jedoch eh kaum verstanden, so laut krachte die Band stellenweise mit. Das war zwar nicht einmal so schlecht, weil dadurch die interessanten Melodien und Menschen in den Mittelpunkt gerückt wurden. Aber bei Stahlberger geht es doch vor alle um die Texte, oder? Synthesizer (inklusive meinem geliebten Roland JP-8000), geschätzte 100 Effektgeräte, verstärkte Ukulelen, unbekannte Gitarren: Auch Nerds hätten ihre Freude am Stahlberger Equipmentkatalog und dessen klangtechnischen Auswirkungen. Oder aber an den Musizierenden, von denen jeder auf seine Art und Weise als Unikat bestach. Ja, spannend ist diese Band, und sie ist gut, richtig gut. Besonders der bereits erwähnte Bassist Marcel Gschwend alias Bit-Tuner glänzte durch Körpereinsatz, Blumen-Pullover, Mokassins und starkem Spiel, durchbrach einer Kanonenkugel gleich das sonst etwas starre Bild, welches sich bot. Mit dem leidenschaftlich engagierten Auftreten stahl er jedoch  seinem Frontmann die Show, was nicht von allen Seiten goutiert wurde. So war es denn ein gutes Konzert. Aber nicht grandios oder gar denkwürdig. Eher verwirrend, in Anbetracht der Publikumsreaktionen, wodurch das Bühnengeschehen im Verlauf der Zeit schon fast zur Nebensache verkam. Während dem Konzert wurde getanzt, geklatscht, gejubelt. Im Anschluss an den Auftritt jedoch war die Euphorie nicht mehr spürbar. Eher vernahm man kritische Rückmeldungen, welche sich durch die obigen, kursiv geschriebenen Zeilen äusserten. Für's Positivum verweise ich auf Kollege Hau.

PS: Im Kleintheater-Café hängen «Visuals» von Manuel Stahlberger. Gefälschte bzw. verfremdete Piktogramme, wie man sie aus seinem Solo-Programm kennt (im Kleintheater im Februar 2012 vorgetragen) kennt. Gibt’s auch zusammen mit anderen lustigen Bildern im Buch «Zeug». Nachtrag: Das Vorprogramm bestreitet Trummer, der Berner Oberländer, mit Auszügen/Müsterchen aus seinem neuen Buch/CD-Projekt «Heldelieder». Links und rechts auf Stühlen sind Vergrösserungen der Porträt-Illustrationen zu den Songs/Geschichten/Personen zu sehen, die von Song zu Song wechseln. Wer hat die gezeichnet? Andreas Gefe aus ursprünglich Küssnacht a.R., der seinerseits seinerzeit bei den allerersten Fumetto-Ausgaben (Start anno 1992) die Festival-Plakate gestaltete.