Die Aura von Orfeo

Luzerner Theater, 23.02.2019: Choreograph Marcos Morau hat zusammen mit der Tanzkompanie, dem Chor und dem Orchester des Luzerner Theaters «Orfeo ed Euridice» rezipiert und mit Tanz fusioniert. Die vereinten Disziplinen ermöglichen einen tiefen Einblick in die Gefühle der Protagonistinnen und Protagonisten der alten griechischen Sage.

Bilder: Gregory Batardon

Orpheus und Eurydike. Klingelt’s? Es ist die Sage des griechischen Sängers Orpheus, der in die Hölle hinabsteigt um seine verstorbene Geliebte Eurydike zu den Lebenden zurückzuholen. Spätestens beim «verbotenen Blick zurück» wird bei den meisten ein Licht aufgehen. Der Sänger darf sich auf dem Rückweg zur Welt der Lebenden nicht zu seiner Geliebten umdrehen, ansonsten würde diese in der Unterwelt bleiben müssen.

Der spanische Choreograph Marcos Morau wandelt Christoph Willibad Glucks Oper in Zusammenarbeit mit Tänzerin Marina Rodríguez in ein Ballett um. Liebesgott Amor, Orpheus und Eurydike werden je von einer Opernsängerin inszeniert. Der Chor des Luzerner Theaters verstärkt die Note.

Erster Akt

Es geht los mit Eurydikes Beerdigung. Vorerst erlaubt eine schwarze Wand mit einem grossen schwarzen Loch nur den Blick auf ein Bild von Eurydike dahinter. Hände kommen aus dem Loch hervor, als ob Eurydike bereits aus der Unterwelt zurückkriechen wollte. Dann wird die Wand entfernt: Alle Anwesenden sind in osteuropäische Trachten gekleidet, die Stimmung wirkt vorerst festlich. Die Tänzerinnen und Tänzer erzeugen gemeinsam kaleidoskopische Muster. In deren Mitte befindet sich Orpheus, dessen leidender Blick und Gesang zeugen vom Schmerz über seinen Verlust.

Hinter den Kulissen tritt schliesslich Amor hervor und präsentiert Zeus’ Angebot. Orpheus muss es gelingen, die Furien und Monster der Unterwelt mit seinem Gesang zu besänftigen und Eurydike, ohne sie anzusehen, aus der Unterwelt führen. Wo Verzweiflung war, herrscht nun Hoffnung. Die Tanzenden wirken stets wie eine Aura um die Sängerinnen. Ästhetisch und abstrakt zugleich, zeigen sie den Dualismus eines Trauerfests in osteuropäischer Tradition: Die Schönheit des Leidens. Der Einstieg sitzt, doch nach 30 Minuten ist bereits Pause.

Zweiter Akt

Orpheus ist in die Hölle hinabgestiegen: Dargestellt als ein Supermarkt des 21. Jahrhunderts. Alles ist grün und weiss, wirkt steril und ungemütlich. Die Bewohner*innen der Unterwelt bewegen sich nun roboterartig. «Ich leide Höllenqualen wie ihr!», singt Orpheus den verlorenen Seelen zu. Die Unterwelt als Abbild der heutigen Konsumgesellschaft, wie sie die Menschen kontrolliert. Tatsächlich wird der Tanz während des Stück immer dämonischer, alle wirken wie besessen von einer unsichtbaren Kraft. Dabei sind die Bewegungen immer fliessend und sitzen von Hand- bis Zehenspitzen.

Durch Orpheus’ Gesang werden die Toten und die Monster besänftigt, ihm wird eine grün-weisse Uniform gereicht. Orpheus erreicht den Bereich der Helden und Heldinnen. Nach wie vor ein Supermarkt, doch die Anwesenden tanzen sanft, wie in Trance. So hat die Welt des Konsums auch seine positiven Seiten; die ermöglichte Routine bietet Ruhe und Ausgleich. Dann, endlich, wird Orpheus zu Eurydike geführt, die nicht verstehen kann, wieso ihr geliebter sie nicht ansieht. Unwillig, den zu erwartenden Liebeskummer mit dem Frieden in der Unterwelt zu tauschen, ist sie kurz davor, freiwillig zu bleiben.

Unruhe herrscht wie ein Sturm auf der Bühne, die leidenden Tanzenden drängen sich wie eine Wand zwischen die Geliebten, Orpheus ringt mit sich selbst, das Orchester spielt laut: absoluter Höhepunkt des Stücks. Marcos Morau und alle Beteiligten wissen, wie man ein Publikum in den Bann zieht. Schliesslich hält es Orpheus nicht mehr aus, dreht sich zu Eurydike um, die sofort in die Unterwelt zurückgezogen wird. Die Rettung ist gescheitert, Orpheus wird seine Tracht zurückgegeben, er muss die Unterwelt verlassen. Kein glückliches Ende, wie in der ursprünglichen Version der Oper. Scheint realistischer, Orpheus hatte seine Chance. Fehler sind menschlich, Gefühle auch. Die Konsequenzen müssen getragen werden.

Für alle die sich normalerweise vor Opern scheuen, ist dieses interdisziplinäre Stück perfekt. Hinter dem Projekt steckt spürbar viel Herzblut von jeder und jedem der Mitwirkenden. Der Besuch im Luzerner Theater ist lohnenswert, sowie die Einführung durch die Dramaturginnen Selina Beghetto (Tanz) und Rebekka Meyer (Oper) in das Stück 45 Minuten vor Beginn.

Auf der Homepage des Luzerner Theaters gibt es Informationen zu Spieldaten und -zeiten.