Des Druckers Innerstes

Der Blick in die Galerie Kriens ist überwältigend. Originaldrucke nehmen die Wände ein, liegen auf dem Boden und geben Einblick in das künstlerische Schaffen von Andreas Weber. Die Ausstellung ist noch bis 3. Juli zu sehen.

In den letzten Jahren ist Andreas Weber mit einer Vielzahl an konzeptionellen und partizipativen Projekten in der Zentralschweizer Kunstszene hervorgetreten. Beispielsweise mit der Aktion «Kunst macht sichtbar», wobei er 186 ungeöffnete Postpakete von Künstler:innen röntgen und so den Inhalt erscheinen liess. Nun zeigt eine Werkschau in der Galerie Kriens eine andere Seite seines Schaffens: Originaldrucke aus 25 Jahren, wovon viele noch nie öffentlich präsentiert wurden.

Erst spät zur Kunst gekommen

Nach Umwegen über ein Philosophiestudium und ein zehnjähriges Engagement im Familienbetrieb – einer Schnapsbrennerei – kommt Andreas Weber erst spät zur Kunst. Seinen ersten künstlerischen Ausdruck findet er im Tiefdruck, insbesondere in der Kaltnadelradierung, die er wegen ihrer Direktheit und «Unkorrigierbarkeit» liebt. Das Medium macht er sich durch gezielte Regelverstösse zu eigen: Den stählernen Zeichenstift, die sogenannte Radiernadel, führt er nicht wie einen Bleistift, sondern fasst die Nadel wie einen Meissel mit der Faust und zieht damit tiefe Furchen ins Kupfer. Dieses Material, das ihm durch die Destillierblasen seit Kindheit vertraut ist, bezieht er bei einem Dachdecker gleich rollenweise.

 

Andreas Weber hat das tragikomische Beckett-Zitat «Try again. Fail again. Fail better» wörtlich genommen und es mit unterschiedlichen Techniken auf allerlei Bildträger schabloniert.

 

«Fail better»

Weitab vom Kunstbetrieb, und noch lange ohne eigenes Atelier, entsteht ein umfangreiches Werk auf Papier. Dicht gehängt überzieht es nun die Wände des ersten Raums der Galerie Kriens. Die «Überwältigungsästhetik», so die Formulierung des Künstlers, dieser Inszenierung macht die existenzielle Dringlichkeit des Frühwerks, den «Druck» (so der mehrdeutige Ausstellungstitel), sicht- und spürbar. Wer sich dem Durchgang zum hinteren Raum nähert, wird von rhythmischen Reissgeräuschen empfangen: Ein Video zeigt die Performerin Doris Heusser, die im Sekundentakt druckgrafische Monotypien zeigt und schwungvoll zerreisst – immer wieder, in fast endloser Wiederholung. Andreas Weber hat das tragikomische Beckett-Zitat «Try again. Fail again. Fail better» wörtlich genommen und es mit unterschiedlichen Techniken auf allerlei Bildträger schabloniert – Karton, Schleifpapier, Edelstahlgewebe, Metzgerpapier, PVC, Putzlappen, Alufolie, Antirutschmatte, Maroni-Sack. In dieser Neuinszenierung von «Try Again» wird zünftig ausgemistet; sie verschafft uns augenzwinkernd einen kathartischen Übergang in die Aufgeräumtheit des hinteren Ausstellungsraums. Dort thematisieren zwei grossformatige Linolschnitte gesellschaftliche Megathemen: «Footprint», ein fast raumhoher Reliefdruck auf schillernder Kohlenstofffolie, zeigt den (ökologischen) Fussabdruck des Künstlers. Auf «Mare Nostrum», zweifarbig auf Japanpapier gedruckt, ist das Mittelmeer aus der Sicht derer zu sehen, die es zu überqueren versuchen: eine dunkel gekrauste, schier unüberwindliche Wassermasse.

Liegengebliebene Arbeit

Als besonderes Highlight der Einzelausstellung in der Galerie Kriens, die noch bis Ende Jahr von Stephan Wittmer geleitet wird, ist erstmalig die Originalgrafik «Grosse Rolle» zu sehen. Nach mehr als einem Jahrzehnt zwischen Herstellung und Druckprozess – der Künstler glaubte, die Arbeit sei verschollen oder gestohlen worden – tauchte die gerollte, hauchdünne Druckplatte wieder auf. Beim ausgestellten Werk handelt es sich um eine sechs Meter lange Papierrolle, auf der Andreas Weber unzählige Sätze notiert hat. Wer aber zu lesen beginnen möchte, gerät rasch ins Stocken, denn der Text entzieht sich durch Spiegelschrift und Überlagerung bewusst der Entzifferung. Die Sätze entstammen einer existenziellen Krise, die der Künstler mit Tagebucheinträgen und dem anschliessenden Übertrag auf die Kupferrolle verarbeitet hat. Viele Jahre später vervollständigt Andreas Weber seine «liegengebliebene» Arbeit mit der öffentlichen Präsentation in der Galerie Kriens. Ein Besuch der Ausstellung vermittelt den intuitiven und vielseitigen Umgang mit dem Medium des Druckens und die Thematisierung gesellschaftlich relevanter Fragen.

 

Andreas Weber: Druck

bis SO 04.07
Galerie Kriens
galerie-kriens.ch


 

041 – Das Kulturmagazin Juli/August 07+08/2022

Text: Michael Sutter
Bild: zvg

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