Der Zeitraum der ZaunreiterInnen

Zur Walpurgisnacht zogs Haller raus aufs Land – ins Entlebucherhaus in Schüpfheim. Zwischen Akkordeonmusik und magischen Tränken gab's da allerhand Informatives über Hexen von gestern und heute zu hören.

«Geist des Widerspruchs! Nur zu! Du magst mich führen. Ich denke doch, das war recht klug gemacht: Zum Brocken wandeln wir in der Walpurgisnacht, Um uns beliebig nun hieselbst zu isolieren.» (Goethe – Faust)

Eine alte Bauernweisheit verheisst: «Ist die Hexennacht voll Regen, wird's ein Jahr mit reichlich Segen.» Als ich, das Gymnasium und die Mauern des alten Klosters hinter mir gelassen, im Entlebucherhaus eintreffe, giesst es. Vor dem Eingang trotzt ein Feuer der Himmelsflut, züngelt sich an einem aufgehängten Kochtopf hoch. Nebulöse Elixiere stehen bereit. In zwei Varianten. Mit und ohne «Extra». Drinnen in der guten Stube führt Sandra Limacher Hofstetter in das Thema ein. Sie holt aus, von der Etymologie des Wortes «Hexe», dem das althochdeutsche Hagazussa, Zaunreiterin – ein Mensch, der zwischen zwei Welten steht – Pate stand, bis zu den praktischen Aspekten der Kräuterkunde. So erfährt man, dass die Begrüssungstrünke selbst hergestellt worden sind. Das «ohne» war ein «gemütsaufhellender» Schlüsselblumen-Sirup – die ersten Blumen im Frühling, das «mit» Schnaps, der mit Johanniskraut, Gewürzen und Sonnenlicht angereichert wurde. Darauf gibt's konsequenterweise einen Hexentopf. Eine Suppe, die das hiesige (Frühlings-)Gemüse mit fernöstlicher Schärfe fusioniert und nebenbei absolut deliziös schmeckt. Penny Frei aus Escholzmatt liest Passagen aus Eveline Haslers «Die Vogelmacherin», die Geschichte eines unehelichen Mädchens aus Romoos, das der Hexenkunst verdächtigt wurde, weil es behauptete, aus Lehm und Federn ein Vogel machen zu können. Musikalisch begleitet wird die Lesung vom Akkordeonisten Bruno Krummenacher, der wunderbar improvisativ zwischen sehnsüchtigen Tangopassionen und bodenständigen volkstümlichen Passagen switcht, während es draussen dämmert und die Nebelschwaden zwischen den Wäldern über die Hügelrücken streifen. Liebevoll ausgewählte Bücher zum Thema säumen die Fenstersimse. Parallelen der mittelalterlichen Hexenverfolgung zu heute ist das letzte Thema, das die Zuhörenden zum Denken bringt, bevor der Abend bei einem Glas guten Weins ausklingt. Als ich rauskomme, ist die Wolkendecke aufgerissen. Der abnehmende Mond und das Heiligkreuz strahlen um die Wette. Am Bahnhof randaliert die Dorfjugend. Irgendwann kommt der Zug. Ich ende im Treibhaus an einer Pfadi-Party, wo man auf Gestalten trifft, die man da nicht wirklich erwartet ...