Der Sündenfall der rumänischen Demokratie – Die letzten Tage der Ceausescus im Südpol

Am Weihnachtstag 1989 wurden Nicolae Ceausescu und seine Frau Elena nach einer Alibigerichtsverhandlung in Targoviste erschossen. Das Ende 2007 gegründete IIPM (International Institute of Political Murder) nahm sich des Stoffs an und spielt die Farce (von der ein Videoband existiert) bis in die kleinsten Details originalgetreu nach. Das Ergebnis ist ein erschütterndes Stück Theater, wie man es hierzulande noch selten gesehen hat.

«Sie hätten uns auch ohne diese Maskerade erschiessen können. Was soll das? Das ist eine Maskerade.» Das Wort Maskerade spuckt er aus, der sichtlich von den Ereignissen gezeichnete Nicolae Ceausescu. Eben noch geliebter Conducator, beinahe absolutistischer Herrscher über das kommunistische Rumänien, nun von Verrätern und Machthungrigen umgeben, auf seine Erschiessung wartend, nach einem Prozess, dessen Ausgang vor Beginn weg festgelegt ist. Es wird in Originalsprache gespielt mit projizierter Übersetzung.

Ceausescu ist ein heisses Thema. Das Kapitel wurde in Rumänien, wo nach der «Revolution» ein Ziehson seiner an die Macht gelangte, niemals richtig aufgearbeitet. Er wurde vor kurzem gleichzeitig zur beliebtesten und zur unbeliebtesten Person in der Geschichte Rumäniens gewählt. Bei der Premiere im Theater Odeon in Bukarest gabs keinen Applaus nach dem Stück. Bloss betretenes Schweigen, nasse Augenränder, offene Münder. General Stanculescu, der grosse Verräter der Ceausescus sitzt heute wegen einem Schussbefehl auf Demonstranten während der 89er-Ereignisse im Knast. Für die Premiere des Stücks erhielt er Urlaub. Zum Spiel meinte er: «In der Mitte der Vorstellung musste ich für ein paar Minuten meine Loge verlassen. Der Eindruck war zu stark – dieser Prozess, der sich genau vor meinen Augen abspielt, Ceausescu, der noch einmal auf mich zeigt und mich einen Verräter nennt. Es war wie in einem bedrückenden Wachtraum.» Reenactment steht für eine neue, dokumentarisch und ästhetisch verdichtete Form des politischen Theaters, in der keine Regisseurmeinungen, keine postmodernen ironischen Überspitzungen Platz haben. Es geht bloss um Fakten, Fakten, Fakten. Man könnte es hyperrealistisch nennen. Zur Dokumentation gehören auch Hintergrundrecherchen, und da waren Milo Rau und sein Team sehr präzis. Zu Beginn werden auf Holzkuben, eingebettet zwischen einem Portrait von Elena und einem von Nicolae Ceausescu, gespielte (reale) Zeitzeugenaussagen projiziert, mit eingeschnittenen realen Bildern. In der anschliessenden Podiumsdiskussion machte der Historiker Jakob Tanner darauf aufmerksam, dass Ceausescu selbst während seiner Amtszeit oft eine Art Reenactment betrieben habe. 1968 hielt er auf dem Balkon des Präsidentenpalastes eine Rede – in der er den Einmarsch der WaPa-Truppen in Prag geisselte und auf nationale Souveränität pochte – die ihm, besonders im Westen, hohe Sympathie einbrachte. Danach stieg er, sobald es Probleme gab, immer wieder auf diesen Balkon und hielt eine Rede. Alexandru Mihaescu, der im Stück den Verteidiger des Diktatorenpaars mimte, bemerkte am Ende der Diskussion, dass es aus historischer Sicht wahrscheinlich ein moralischer Fehler gewesen sei, die Ceausescus zu erschiessen. Denn dies sei die erste unrechtmässige Tat nach der Geburtsstunde der Demokratie gewesen. Immer mehr solche Taten seien dazugekommen, hätten sich angehäuft. Vielleicht hätte man besser mit weisser Weste begonnen ...

Das Stück wird heute (Donnerstag) Abend nochmal im Südpol aufgeführt. Die Vorstellung ist ausverkauft, Restkarten an der Abendkasse.