Den Spiess umgedreht

Luzerner Theater, Freitag, 1. Februar 2013. Scheu und zaghaft lugt eine kuriose Gestalt hinter dem Vorhang hervor; sie kündet ein Schauspiel an. Es ist Juanita, das Gorillamädchen aus «Kasimir und Karoline». Und wenn später in Ödön von Horváths Volksstück eine Revolution erträumt wird, dann beginnt die Inszenierung von Alice Buddeberg mit dem Auftritt von Juanita bereits mit einer solchen.

(Bilder: Toni Suter)

Wird nun von einer «Revolution» gesprochen, so ist nicht ein gewaltsamer Umsturz oder gar die Aufhebung der bisher gültigen Verhältnisse gemeint. Buddeberg ist trotz ihres jungen Alters zu erfahren, um das Kind mit dem Bade auszuschütten. Es ist «nur eine» Umkehrung, eine Revolution dem gestrengen Wortsinn nach, welche dem Theaterabend ihren Stempel aufdrückt. – Dies nicht nur zum Guten, wie noch zu zeigen ist. Die Inszenierung setzt an – oder eben – dreht das Volksstück an zwei Vorgaben um: Es sind nicht die berüchtigten «Abnormitäten», die vorgeführt werden, sondern die «Normalen»; es ist, wie eingangs erwähnt, Juanita (gemimt von Franziska Schubert), welche die Bühne frei gibt, selbstbewusst und von sich aus über sich redet, und damit nicht nur angekündigt und apostrophiert wird. Erst jetzt, da Juanita die Bühne den anderen überlässt und sich behaglich als Zuschauerin in Szene setzt, treten die Protagonisten Kasimir und Karoline in Erscheinung.

           

Sobald nun Kasimir (Jörg Dathe), Karoline (Bettina Riebesel) und die anderen Akteure des Volksstücks auf die Bühne kommen, tritt auch die zweite Umkehrung zu Tage: Sind bei Horváth Kasimir und Karoline «die Jungen», dreht Buddeberg dies um und lässt ältere Schauspieler die beiden Figuren spielen. Wohingegen «Der Merkel Franz» (Christian Baus), ein Kumpel von Kasimir, und «Dem Merkel Franz seine Erna» (Juliane Lang) jünger sind. Gekonnt, wie Alice Buddeberg, die ab der kommenden Spielzeit Hausregisseurin in Bonn wird, den vermeintlichen Einladungen zu einer zeitgeistigen Kapitalismuskritik mehr als Paroli bietet und mit den erwähnten «Umkehrungen» einen eigenständigen Weg einschlägt. Andersherum wäre es wohl einfacher und sicherer gewesen. Mit Sicherheit hätte man aber Horváth nicht Genüge getan. Denn «Kasimir und Karoline» ist genuin systemkritisch: Horváth schreibt, «Ich bin kein Satiriker, meine Herrschaften, ich habe kein anderes Ziel, als wie dies: Demaskierung des Bewusstseins.» Klar braucht es das eine oder andere parodistische Element: So werfen insbesondere Rauch (Samuel Zumbühl, schneidig und somit wohl «in unserer Zeit») und Speer (This Maag) andauernd mit Geld um sich. Schön, wie Hajo Tuschy dem Schürzinger (Prototyp des kracauerschen «Angestellten») behutsam eine etwas aktuellere Fasson zuschneidet. Hätte Buddeberg die Weichen aber allzu parodistisch gestellt, wäre der gestrige Abend zu einer Satire verkommen und der Zug nie angekommen. Er kommt an – mit gewissen Irrungen allerdings. So ist der Auftritt der «Abnormitäten» – die Schauspieler mit Masken (Sandra Rosenstiel) – erhellend. Dreht er doch den Spiess um und wirft die Frage auf, wer und was «normal» ist. Doch dieses Intermezzo dauert zu lange! Vor allem zwingt es die Schauspieler zum Garderobenwechsel. So spielt das Ensemble in der zweiten Hälfte mit neuen Kostümen (Martina Küster) die alten Rollen. Dies wirkt unschlüssig und zu pragmatisch. Eine Pause wäre naheliegend gewesen. Der Skurrilität etwas zu viel: Wiebke Kayser und Jürg Wisbach als Elli und Maria. Treffend ist die Idee, dass die beiden Prostituierten Elli und Maria chorartig als Taktgeber gleichsam Sklaventreibern auf einer Galeere das Treiben auf der Bühne dämpfen oder anfachen. Obwohl die Bühne (Sandra Rosenstiel) etwas beliebig wirkt, verdeutlicht sie mit ihrem Gefälle, ihrer Kälte und dem vermeintlichen Halt für die Schauspieler einiges von dem, was es zu demaskieren gilt.

Luzerner Theater: «Kasimir und Karoline», Volksstück von Ödön von Horváth, bis 7. April 2013