Das Unbehagen in der Kultur – Kulturpolitische Grossdiskussion im Anker

Über 50 Interessierte aus allen Sparten der Kultur haben sich gestern im Anker zu einer breit angelegten Diskussion über Kulturpolitik getroffen. Auch Pirelli ging hin – und fands zu seiner Überraschung reichlich spannend.

Man mag von der Salle modulable halten, was man will – eines ist ihr anzurechnen: Sie bringt mancherlei Diskussion über Kulturpolitik in Gang. Zwar rühren in der neusten Ausgabe des Stadtmagazins Stadtpräsident und Kultursportbeauftragte so aufdringlich die Werbetrommel für das Ding, als ob sie direkt in Haefligers Sold stünden – und sorgen dabei für manchen Schmunzler, weil sie in der Standortfrage jegliche Aktualität missen lassen –; es ist fast so, als ob es nie eine kritische Auseinandersetzung mit dem Unding gegeben hätte. Doch die gibt es sehr wohl, und sie geht weit über den Operettentempel hinaus. Boa-Schliessung, Frigorex-Nichtung, der Umstand, dass immer mehr Quartiere «saniert», also unbezahlbar gemacht werden, und eben die lemminghafte Blindheit, mit der man jetzt dem neuen Götzen nachläuft, sind Symptome für einen Prozess, der sich in den meisten Städten abspielt: Man ordnet die Stadtentwicklung einer (post)neoliberalen Sicht unter und verliert dabei aus den Augen, dass jede Stadt ein aus verwirrend vielen Teilen und allen möglichen Schichten bestehender Organismus ist, der an dieser neuen Einseitigkeit darbt und schlussendlich daran eingehen muss. Direkt davon betroffen ist auch die «Alternativkultur» – und zwar in zweifacher Hinsicht: Einerseits werden immer mehr Bühnen, Proberäume, Ateliers, Tanzstudios etc. vernichtet, anderseits ist gerade an eben dieser «Alternativkultur» (möge doch endlich jemand ein neues Wort finden, das ohne Anführung auskommt!), Gegenentwürfe zu schaffen, einen Gegenpol zu bilden. Doch wie soll das aus dieser wenig definierten amorphen Masse heraus geschehen, wo doch jedeR über weite Strecken für sich allein wurstelt und man dem geballten Kapital so wenig entgegenzusetzen hat? Um dies zu diskutieren, haben sich im Anker über 50 Menschen aus allen Sparten getroffen. Die Zielsetzung des Abends wurde wie folgt definiert: Man will das Schwergewicht auf «Alternativkultur» setzen und sich dabei abgrenzen von der IG Kultur, die mittlerweile so breit engagiert ist (wie zum Beispiel die Südpol-Diskussionen zum modulablen Dings zeigten), dass sie in Belangen der «Alternativkultur» (im Folgenden: AK) nicht mehr klar Stellung beziehen kann; und man will dabei den Begriff Kulturpolitik breit fassen, weil er so viel mehr beinhaltet als eben Konzerte, Ausstellungen, freies Theater und was der kulturellen Produkte sonst so sind. Den Einstieg bereitete ein Referat von Reto Blattner von der INURA, der am Beispiel Zürich zur Stadtentwicklung sprach. Ursprünglich war diese immer definiert über soziale Fragen: Was bedeutet die Strategie einer Stadt für die Menschen, die darin wohnen? Seit nun aber der (post)neoliberale, technokratische Blickwinkel dominiert, fliegt die soziale Frage aus der Diskussion raus. Man sieht die Stadt als Marke, als Produkt, das im «Standortwettbewerb» zu bestehen hat und entsprechend «bewirtschaftet» wird. Da nun so viele Städte von Mitte-Links regiert werden, ist hier von einem grossflächigen Versagen der SP (und, etwas weniger lang, der Grünen) zu sprechen, die ihren Gestaltungsspielraum nicht ausnützt, sondern sich willfährig den Interessen des Kapitals (man sehe mir den altertümelnden Ausdruck nach) unterwirft und dabei die Parteibasis so gut im Griff hat, dass es keine Opposition gibt. Man stelle sich zum Beispiel vor, die Polizeidirektion sei durch einen SVP-Mann besetzt – die Linke würde die Vorgänge um das Freiraum-Demo-Desaster bis heute in den Parlamenten aufs Tapet bringen. So aber bleibt jeder Widerspruch aus. Es ist nun an der AK, das Terrain zurückzuerobern, die soziale Frage wieder zum Kern der Stadtentwicklung zu machen – und dies nur schon aus handfestem eigenem Interesse: Wir brauchen einigermassen zentral gelegene Ateliers, Proberäume, Tanzstudios, Bühnen etc. und sind darauf angewiesen, halbwegs bezahlbar wohnen zu können, sonst können wir uns die Kulturtäterschaft gleich ans Bein streichen. Wie also ist vorzugehen? Nach dem Referat und einer kurzen Wunschvorstellungsrunde wurden Workshops gebildet, in denen man Teilaspekte der AK diskutierte: Vernetzung (9 Teilnehmende), Aktionen (8), Neue Räume (7), Öffentlichen Raum bespielen (7), Stadtentwicklung (18), Form und Inhalt der AK (3).
 Es bringt nun nichts, einzeln auf die Workshops einzugehen, weil die Themen ineinander übergreifen. Vielmehr will ich einige der Diskussionsgegenstände kurz vertiefen. Vorweg: Es ist bezeichnend, dass der Workshop zu den Inhalten nur drei Personen umfasste, und es erinnert irgendwie fatal an die Salle modulable, bei dem Fragen nach den Inhalten mit grossem Unverständnis sogleich kopfschüttelnd und naserümpfend abgeblockt werden. Aber wie soll man etwas wie die AK, die aus so vielen Individuen besteht, auch fassen können? Und darin lag einer der Schwerpunkte des gestrigen Abends: - Wie können wir uns wirkungsvoll vernetzen, dass wir mit «einer Stimme» sprechen können, und zwar innert nützlicher Frist? Es ist die Krux der AK, dass sie keine Hierarchien aufweist, die Entscheidungswege sind unendlich lang, Basisdemokratie ist ungemein erschöpfend. Wie kann man schnell reagieren und wie bringt man die wahnwitzig vielen Ausrichtungen, Präferenzen und Selbstverständnisse unter einen Hut? Um diesem Problem zu begegnen, wird eine neue Plattform, ein neues Forum gegründet, erst im Web und später auch in der Form eines physischen Raums. Dort sollen Austausch, Diskussion, Meinungsbildung ermöglicht und gefördert werden. Und es geht dabei nicht nur um die hehren politischen Ideale, dass man also die inhärente Verantwortung zum Gegenentwurf, zur Mitgestaltung wahrnimmt, sondern auch um ganz pragmatische Notwendigkeiten: Die Ressourcen werden knapper, es ist weniger Geld da, es muss möglich werden, dass man sich untereinander unkompliziert mit zum Beispiel Equipment oder Unterstützung bei Planung und Durchführung von Anlässen beisteht. Zu diesem Behufe wurde eine Arbeitsgruppe gegründet. - Wer oder was ist «Alternativkultur» überhaupt, wie ist ihre Verantwortung definiert? Wie kann sie Einfluss nehmen, und was will sie? Und wie geht man damit um, dass alle die Gesellschaft zum Positiven verändernden Ideen aus der «alternativen» Ecke, also aus einer Gegenposition stammen, die AK aber dafür, dass sie ebendiese Ideen entwickeln kann, auf Geld vom Staat angewiesen ist? Und wie macht man diese Ideen einem breiten Publikum bekannt? Man erinnert sich: Der Standort Emmenweid für die Salle modulable zum Beispiel wurde schon vor längerem aus dem «alternativen» Umfeld vorgeschlagen, tatsächlich aufgriffen wurde er aber erst, als die bürgerlichen Parteien ihn als Eigengewächs portierten.
 Man hat beschlossen, die Eigendefinition zu beschleunigen, indem man ein Manifest erarbeitet. Auch zu diesem Behufe wurde eine Arbeitsgruppe gebildet. - Wie erobert man den öffentlichen Raum zurück? Was für Möglichkeiten für Aktionen gibt es, ohne dass man von der Amok laufenden Sicherheitsdirektorin gleich eingesackt und in den Zivilschutzbunker gesteckt wird? Wie schafft man Synergien zum Beispiel mit den anderen Randständigen, denen vom Salesiapark? Symptomatischerweise waren gleich zwei Vertreter der Gassenarbeit anwesend. O tempora, o mores. Natürlich wurde auch zu diesem Behufe (und zur Planung des Kick-off-Events) eine Arbeitsgruppe gebildet. Fazit: Es wurde vier Stunden lang höchst konzentriert gearbeitet, die Egos wurden zurückgesteckt, man zog schon mal versuchshalber am gleichen Strick. Man wäre, hätte man nicht schon unzählige, letztendlich meist versandende Anläufe miterlebt, versucht zu sagen: Es geht voran. Und wie es tatsächlich vorangeht, davon kann man sich am 3. März um 19 Uhr im Anker ein Bild machen, wenn die nächste Diskussion stattfindet und die Arbeitsgruppen ihre Resultate präsentieren. Auf rege Beteiligung wird gehofft.