Das synästhetische Erlebnis hochfragiler Klangkulissen

Neubad Luzern, 30.10.2014: Gestern Abend fand die Uraufführung des Satyrspiels PAN im grossen Pool statt. Das ensemble für neue musik zürich bot ein kontrastvolles Spektrum von extrem sensiblen Klangsphären, bis hin zu energisch-stürmischen Passagen. Ein gewagtes und ungewohnt reizvolles Hörerlebnis.

(Von Tiziana Bonetti)

Martin Baumgartners atonale Komposition lebt nicht von Harmonie und repetitiven Melodien, sondern von höchst heterogenen Klangwelten und dynamischen Stimmungswechseln. Die Spannung der musikalischen Handlung lag nicht auf ihrem Ausgang, sondern auf dem Gang: Abrupt einsetzende Wendepunkte stellten Momente des Schwebens und Stillstands durch ansonsten ekstatische Kampfesszenen ein. PAN ist ein Satyrspiel voller Kontraste und konfligierenden Rhythmen. Die Musik hat keine Vorhersehbarkeit, keine Stringenz und dennoch schlägt sie nie in Chaotik um. Die streng konzipierte Komposition entzieht sich der Willkür der Musiker: gefragt ist nicht Spontaneität und Improvisation im Zusammenspiel, sondern perfide Genauigkeit und Fingerspitzengefühl jedes Ensemblemitglieds.

Ein Satyrspiel der Heiterkeit und der Kampfeslust Obwohl die Musik aus fragmentarischen Segmenten zusammengesetzt ist und sich jeglicher Hermetik entzieht, wohnt ihr ein narrativer Charakter inne. Martin Baumgartners Komposition nimmt Bezug auf die boksfüssigen Satyrn der griechischen Mythologie. Als Gefolge des Dionysos fristen die trunksüchtigen, libidinösen und impulsiven Gesellen, worunter auch Pan gehört, ihr Dasein. Dass Baumgartner sein Werk als Satyrspiel bezeichnet, rührt nicht daher, dass es sich tatsächlich um ein heiter-groteskes Nachspiel einer Tragödientrilogie handelt, wie es in der griechischen Antike ursprünglich intendiert war, sondern verweist wahrscheinlich auf die Gleichzeitigkeit von den dem Musikspiel eingeschriebenen Kontrasten zwischen Komischem und «Dramatischem». Die disparate Klangpalette von PAN scheint unerschöpflich zu sein: eine ungeheure Pluralität von synchronen Klanggebilden ist die Folge davon. Solche Musik fordert nicht nur die Musiker des Ensembles heraus, sondern auch ihr Publikum: Sie streichelt nicht das Ohr ihres Zuhörers, sondern kann ihn auch beissen oder anschreien. PAN ist keine Zurück-Lehn-Musik. Allein schon die Unvorhersehbarkeit der Wendepunkte, die dem Konzertbesucher den Puls rauben, verhindern eine fliessende Perzeption. Stattdessen wird der Zuhörer mit einem Wechselbad der Klänge konfrontiert, die ihn aktiviert.

Komplexes Instrumentenarrangement Nur wenn der Zuhörer gestern Abend die Vielschichtigkeit der Musik akzeptierte, konnte er sich auf das exquisite Hörerlebnis einlassen, welches das Nonett mit seiner ganzen Bandbreite an Instrumenten erzeugte. Nebst Violine (Urs Bumbacher), Violoncello (Nicola Romanò), Kontrabass (Christian Weber), E-Gitarre (Manuel Troller), Klarinette (Manfred Spitaler), Vibrafon (Lorenz Haas) und Klavier (Viktor Müller) sowie Schlag- und Perkussionsinstrumenten (Lorenz Haas/ Sebastian Hofmann), kamen auch Toys (dh. Plastikpfeifen) und andere geräusch- und tierlautgebärende Klangkörper zum Einsatz. Augenfällig war die unkonventionelle Art, mit der die Musiker die Instrumente bespielten. Zum Beispiel strich der Perkussionist Lorenz Haas mit einem Geigenbogen über die metallenen Klangplatten des Vibrafons, anstatt diese mit einem Schläger zu bespielen. Mit diesen alternativen Spielarten kreierte das hochkonzentrierte Ensemble ungewohnte Sounds. Das aufs Genaueste abgestimmte Zusammenspiel der Musiker machte die Anwesenheit des Dirigenten Sebastian Gottschick als ordnungsstiftende Instanz unentbehrlich.

Hörenswerte zeitgenössische Musik PAN ist ein äusserst komplex verwobenes zeitgenössisches Musikwerk, das von der Kammermusikformation ensemble für neue musik zürich musikalisch mit hoher Präzision umgesetzt wurde. Baumgartners Komposition zeugt von Experimentierfreudigkeit und ist gespickt mit stimmungserzeugenden musikalischen Einfällen. Dass sich das im Jahre 1985 gegründete Ensemble Baumgartners Komposition angenommen hat, ist kein Ausnahmefall: Eines der Hauptanliegen der Formation ist die Förderung junger, noch nicht etablierter Komponistinnen und Komponisten aus dem In- und Ausland. Bislang entstanden, überwiegend im Auftrag des Ensembles, über 300 Uraufführungen, unter anderem PAN. Dass zeitgenössische, atonale Musik jedoch keinen leichten Stand hat, davon zeugt die Tatsache, dass lediglich drei weitere Aufführungen von PAN anstehen. Für Liebhaber zeitgenössischer Musik ist PAN aber ein unverzichtbares Muss!

Weitere Aufführungsdaten: FR, 31.10.2014, 20.00 Uhr Zürich, Kunstraum Walcheturm SA, 1.11.2014, 20.00 Uhr Zürich, Kunstraum Walcheturm SO, 2.11.2014, 16.00 Uhr Langenbruck, Kloster Schönthal