Das Nordlicht in der Dunkelheit

Treibhaus Luzern, 09.02.2014: Der 09. Februar wird als schwarzer Tag in die Schweizer Geschichte eingehen. Wenigstens sorgten Valdimar und Kapnorth für einen kleinen Lichtblick. Ein Musikereignis im Zeichen der Sehnsucht.

An jenem Sonntag wurde ein dunkles Kapitel in der Schweizer Geschichte geschrieben. Und manch eine/r wird in Zukunft noch sehnsüchtiger Richtung Ausland blicken. Doch der Abend nach der enttäuschenden Abstimmung bot immerhin einen kleinen, auditiven Lichtblick und bewies: Wenigstens die Musik ist immer noch für alle da. Den Fokus ausschweifend auf Politik zu legen, würde den Formationen Unrecht tun, denn die können wenig dafür. Haben sich dafür aber ins Zeug gelegt! Ordentliche Augenringe und Müdigkeit zeugten davon. Touren ist nicht immer ein Zuckerschlecken. Davon können nun auch Kapnorth ein Liedchen singen. Zusammen mit der isländischen Formation Valdimar reisten sie für ein paar Konzerte durch Deutschland, Österreich und – finalmente – die Schweiz. Eröffnen taten die nordischen Gäste. Ein geschickter Schachzug: So verliessen Bekannte und Verwandte den Konzertort nicht, sondern „durften“ Ausharren bis zum Erscheinen der Schweizer Gastgeber.

„Valdi cranking up the trombone“ Valdimar Guðmundsson ist eine imposante Erscheinung. Optisch könnte er die freundliche Zwillings-Version vom US-amerikanischen Rapper Action Bronson sein. Wenn der isländische Bär aber sein Gesangsorgan aktivierte, ging das Thema Sprechgesang schnell vergessen. Gänsehaut vom ersten Moment weg. Wunderschön. Beeindruckend. Kraftvoll: Die Reihe an Adjektiven könnte unendlich fortgesetzt werden. Unter den Mix seiner rauchig-kratzigen Vocals in Kombination mit Engelsstimme setzten seine teils barfüssigen Mitmusiker den typisch isländischen Klangteppich. Sphärische Delaygitarren, Synthiewände, Groovedrum. Erinnert an einen Mix zwischen soften Agent Fresco und poppigen Sólstafir. Ohnehin versetzte die Musik Valdimars wie so oft bei nördlichen Musikexporten in unendliche Fernen, Sehnsüchte und Melancholie, wie sie wohl nur die Nordländer vollumfänglich kennen. „Valdi cranking up the trombone“ – Wie toll die Posaune eingesetzt werden kann, demonstrierte an jenem Abend zudem der Song „Yfirgefinn“. Ein Highlight. Auch zwischen den Kompositionen funktionierte die Band. Frontmann Valdimar wirkte enorm charmant und scheute sich nicht, bei gelegentlichen Englischaussetzern die Kollegen um Vocabulaire-Nachhilfe zu beten. Der Lacher des Abends gelang ihm zudem mit seiner Hommage an Marius: „This guy is so beautiful. If I were a girl, puuuh“. Rote Ohren bei der Handsome-Kappe (Insider). In a nutshell: Fantastischer Gig.

Aus Alt mach Neu Anschliessend durften sich die zahlreich erschienen Zuhörer von Valdis Statement überzeugen. Kapnorth präsentierten in Viererformation erstmals neue Songs. Die folgenden Zeilen sind in meiner Funktion nicht ganz einfach zu schreiben. Als ehemaliger Sessionbassist der Band (ein Jahr Konzerte inklusive Island-Recording) kenne ich die Songs vermutlich so gut wie nur wenige und war deshalb besonders gespannt. Die neuen Stücke sind eigentlich alte. Dass die Jungs langsame Songwriter sind, haben sie gleich selbst betont. Aber klar: In gerade mal fünf Monaten neuer Besetzung schreiben sich nicht 20 Lieder am Stück. Vor allem nicht bei Kapnorth, die für sorgfältig ausgearbeitete Arrangements bekannt sind. Das erneute Facelifting (schon für die Aufnahmen der Platte wurde umarrangiert) tat in der Folge gewissen Stücken gut, anderen weniger. Den Tanzhit „Eruptor Core“ (immerhin mein Liebling) erkannte man beispielsweise gar nicht wieder. Das Tongeschlecht neu in Dur liess den Track nicht mehr gefährlich-ekstatisch klingen, sondern fast schon liebevoll. Umso grösser die Freude, als „The Running“ angekündigt wurde. Jene neue Komposition überzeugte ordentlich! Dementsprechend wohl schien sich die Band zu fühlen, geriet förmlich in einer Eruption des Zelebrierens. Fazit: Guter Auftritt. Und für die Zukunft: Die herzlichsten Wünsche plus neue Songs! Inklusive den besten neuen Alten im Repertoire. So geraten die letzten Zeilen förmlich zur Ironie des Schicksals: Gerade die Schweizer und ihre Gäste, welche aus dem Ausland zurückkehrten, boten in diesem dunklen Inland-Kapitel den Lichtblick. Dank sei der Musik.