Das Gurtenfestival zwischen Ray Ban und Raincoat

Kulturteil war am vergangenen Wochenende auf dem Berner Hausberg zu Gast und erlebte ein zu grössten Teilen überzeugend komponiertes Programm. Das Publikum im Sack hatten: Travis. Mehr Schein als Sein waren: Franz Ferdinand. Mich am Sonntag nochmals ganz nach vorne gerissen haben: Kings of Leon.

Ich mag ja lieber die kleinen Festivals (wie dieses hier), und ob ich vier Tage Openair am Stück noch durchstehe, das konnte man nicht wissen. Doch der Gurten wartete heuer mit einem durchwegs überzeugenden, kohärenten Programm auf und liess mich den Versuch wagen. Und von den Big Playern ist der Gurten der gemütlichste – nette Menschen vom Bähnli-Chauffeur bis zur Security und trotz ausverkauften Samstag und Sonntag selten panikmachende Menschenmassen. Bereits der Donnerstag brillierte mit drei fantastischen Konzerten – zu unrecht lassen viele den ersten Abend aus. Zum einen Bloc Party, deren Auftritte ich von ihren Anfangsjahren noch als statisch und monoton in Erinnerung hatte. Doch wie bereits vor Wochenfrist in Montreux legten sie auch auf der Gurten-Hauptbühne einen fesselnden Auftritt hin. Die Band bedient ihre Instrumente zwischen perfekter Stilsicherheit und Mut zu Klangexperimenten (im Fall der Gitarre). Sänger Kele Okereke war bestens gelaunt. Und so stampften Bloc Party durch die Songs ihrer drei (übrigens allesamt guten) Alben. Die weiteren Glanzpunkte wurden auf der Zeltbühne gesetzt. White Lies aus London versetzten das Publikum in tiefen, schwermütigen 80er-Wave. Unglaublich druckvoll und vereinnahmend. Und: Sie coverten auf glänzende Weise den fantastischen Song «The Rip» von Portisheads Album «Third». Den perfekten Abschluss zu später Stunde besorgten Röyksopp aus Norwegen. Verträumte Synthesizer-Schwälle und dezente Discobeats zauberten das Publikum in einen nächtlichen Glücksrausch. Märchenhaft und unglaublich schön. Auf verlorenem Posten agierten am Donnerstag The Gaslight Anthem – die auf ihren Alben mit ihrem amerikanischen Rock durchaus zu überzeugen vermögen. Und eine kleine Anekdote zum Konzert von Franz Ferdinand. Als ich am Tag darauf ein altes Musikexpress durchstöbere, stosse ich auf einen (vernichtenden) Konzertbericht ebendieser Band – darin wird die Aktion, bei der die ganze Band gleichzeitig aufs Drum eindrescht mit der Blue Man Group verglichen – definitiv kein Kompliment. Bei der gleichen Einlage haben wir uns ebenfalls an den Kopf gefasst. Wieso hat diese Band das nötig? Auch ansonsten war ihr Gurtengastspiel seltsam uninspiriert, die Songs aufgebläht mit unnötigen Füllern, der Gesang zu verhalten. Bloc Party hätten diesen Platz zur Primetime verdient. Über den Hiphop-lastigen Freitag kann ich nichts sagen (Kommentare dazu werden erbeten!), ausser dass er zünftig verregnet und von einer Kältewelle seinesgleichen heimgesucht wurde. Am Samstag waren die Highlights etwas rarer gestreut. Silbermond waren (natürlich) zum Schreien schlecht, aber deswegen erschien der geneigte Hörer ja nicht. Sehr gut machten ihre Sache Razorlight, ein mit Hits durchtriebenes Rock'n'Roll-Set, ohne viele Worte, ohne viel Show, aber mit beträchtlich viel Coolness, die man dem Ray Ban bebrillten Sänger Johnny Borrell sofort abkaufte. Auch seine Stimme war eine der besten des Festivals. Oasis waren schliesslich da, brachten «Supersonic» und «Wonderwall», was die Leute hören wollten, Liam war gut gelaunt, schmiss seinen Schellenkranz ins Publikum und Noel kehrte am Schluss sogar nochmals auf die Bühne zurück, um dankend zu winken. Doch wahnsinnig aufregend ist das alles nicht mehr, wenn auch viel besser als auch schon. Alles andere als aufregend waren auch Glasvegas, eintönig und langatmig. Da lag es an Tricky, dem Triphop-Pionieren aus Bristol, das Publikum noch einmal herauszufordern und gleichzeitig zu verstören. Ein Konzert, das sich langsam herantastete, um später wild und unbändig um sich schlug. Ob so viel Coolness tags zuvor war das Konzert von Travis das erfrischendste, was man sich am Sonntag wünschen konnte. Zwar dauerte auch ihr Auftritt ein paar Songs, bis er in die Gänge kam, doch dann gaben die vier Schotten und der Schwede an den Tasten das Heft nicht mehr aus der Hand. Sänger Fran Healy tanzte mit Damen aus dem Publikum, schüttelte Hände, schaffte es dass der ganze (wirklich der ganze) Gurten hüpfte – alles was bei anderen Bands einen schnöden Beigeschmack hätte, ist im Fall von Travis von entwaffnender Herzlichkeit. Und als sich die Band hinter Healy versammelt, um im Chor «Flowers in the Window» anzustimmen, bin ich schon fast den Tränen nah. Auch musikalisch war Travis von A bis Z erhaben.

Und es warteten noch Kings of Leon auf der Hauptbühne. Drei Söhne eines Wanderpredigers sowie ein Cousin bilden das Quartett aus Nashville, Tennessee (alle heissen mit Namen Followill). Genau wie auf ihren Alben brachten sie ihren repetitiven aber umso energetischeren Rock knallhart auf den Punkt. Der Bass wummerte, die Gitarren heulten, Sänger Caleb Followill schrie – es passte millimetergenau. Sie scherzten auf der Bühne rum, hatten sichtlich Spass und zeigten sich ob ihres privilegierten Musikerdaseins dankbar – sympathisch. Und sie spielten die besten Songs von ihrem 2007er-Meisterwerk «Because of the times».