Das Festival, das auf einen Hügel stieg und von einem Berg herunterkam – Der Hügel ruft III

Sonnenberg Kriens, Samstag 15.06.2013: Seit dem letztjährigen B-Sides Festival darf man jeweils an drei Tagen den Hügel erklimmen. Somit kratzt das kleine & feine Openair an der der Kruste der ganz Grossen seiner Zunft. Auch hinsichtlich der Programmation.

(Fotografien: Silvio Zeder)

Wenn er nichts von der Festivalleitung hört, dann ist er dabei. Automatisch. Seit Jahren. Die Rede ist von El Ritschi, dem singenden Dauergast und Alleinunterhalter für die jüngsten Festivalbesucher. Während Mami und Papi genüsslich ein Bier trinken können und mit anderen Mamis und Papis über die neusten Kinderwagenmodelle plaudern können (oder natürlich auch dem Herrn zuhören), lässt El Ritschi die Kinder tanzen, umherspringen und mitgrölen. Auch wenn eigentlich kein Kind versteht, was der El Ritschi dort oben auf der Bühne von sich gibt, gefallen tut es jedoch allen. Weiter ging es mit der Band Silberbüx, vier Männer und Frauen, die eine Art spielerische Detektivgeschichte in Musik und Worten mit den Kindern abziehen wollten. Um das verstehen zu wollen, muss man wahrscheinlich wirklich Kind sein.

Dan Haywood’s New Hawks spielten dann wieder Musik für Erwachsene und beschwörten sogleich einen fürchterlichen Regenguss herauf. Davon relativ unbeirrt kombinierte sich eine Gitarre mit sanften  Geigenklängen zu weichgespültem Folk. Die Deutschen von SchnAAk (und auch einige lautstarke Besucher) konnten nicht genug von ihrem Bandnamen haben, so dass er lästig wie das wortverwandte Fluggetier  die ganze Zeit um den Kopf brauste.  Musikalisch hatte man es ziemlich schnell mit ziemlich viel zu tun: Gitarre hier, Schlagzeug da, etwas Gesang dazwischen, dann wiedermal den Bandnamen, dann wieder ein wenig härter in die Saiten gegriffen, wieder groovig-lässiger. Eigentlich ganz viele Arten Musik für zwei Berliner, die den Facettenreichtum ihrer Heimat- oder Wahlstadt kurzerhand nach Kriens transformieren. Und ja, den Bandnamen wird wohl niemand so schnell vergessen…

Und da war er wieder. Immer und immer wieder stolpert man am B-Sides (zum Glück zur im übertragenen Sinne) über den liebevollen Berner, der liebend gerne Cervelats und Steak vom Grill vertilgt. Julian Sartorius‘ vierter Auftritt in fünf Tagen (rekordverdächtig?) war im Gegensatz zum Donnerstag (siehe Der Hügel ruft) wieder solo unterwegs. Mr. Beat Diary spielte uns etwas aus seinem musikalischen Drumklangtagebuch vor und wie immer klang es völlig anders als beim letzten Mal. Ein spitzfindiger Tüftler, stets mit Drumsticks bewaffnet und alles testend, was man ihm als Klangkörper auftischt. Ihm sind natürlich die vielen kinetischen, tinguelyesken (habe ich soeben ein Wort erfunden?) Konstruktionen auf dem Festivalgelände aufgefallen, die nicht nur ihn, sondern eine Vielzahl der Gäste belustigten. Nach einer grösseren Pause (nicht durch das Festival, sondern durch den Autor. Anm.d.Red.) ging es mit der charismatischen Ex-Filewile-Frontfrau Joy Frempong alias Oy weiter. Eine sehr gute Geschichtenerzählerin mit perfektem CH-Deutsch und akzentfreiem Englisch bindet einem mehr als einen Bären auf. «At the beginning there was a huge drop of milk, singt Oy und verweist auf die Entstehung dieser animistischen Deutung des Weltursprungs. Oder sie erzählt von jemandem, der eilig auf dem Weg zu einer Beerdigung ist, stolpert und stirbt. Ob die voodooähnlichen Puppen auf der Bühne etwas mit diesem Fall zu tun hatten, ist nicht überliefert. Fest steht hingegen, dass Oy es sehr gut versteht, verschiedene  musikalische Ansätze unter einen Hut zu bringen und gleichermassen Marimbaklänge mit Hip Hop, Elektro, Buschtrommeln und multivokalem Gesang vereint.

Hingegen wirkte James Brooks aka Land Observations wie einstudierte Wiegenlieder für Kleinkinder. Eigentlich ist der Name bereits Programm. Musik für Landschaften oder Landschaften für Musik schien das Credo des Solo-Gitarristen zu sein. Und dies verfolgte er mit eisernem Willen sehr erfolgreich und versetzte viele Besucher in einen schläfrigen Trancezustand. So muss sich eine zünftige Prise Chloroform anfühlen. Im B-Sides-Programmheft steht folglich mehr als treffend: «Musik, getaktet wie ein Uhrwerk, sich aufführend, als hätte man Kraftwerk die Synthies weggenommen und ihnen stattdessen Gitarren in die Hand gedrückt.» An dieser passenden Stelle ein kurzes Intermezzo:  Grosses Lob an Felix Pfäffli (und mit ihm alle weiteren Beteiligten) für die grafische Gestaltung des Programmheftes. Sehr konzeptionell und hochmodern kommt das kleine, rote Büchlein daher und enthält anstelle ellenlanger Bandbeschreibungen von jeder Band eine digitale Visualisierung eines bestimmten Songs. Schlicht, mutig, begeisternd.

Zur besten Sendezeit, selbstredend für ein Openair, traten die Indie-Rocker von Balthazar auf die Hauptbühne, mit dem Ziel in der Hosentasche, das 8. B-Sides würdig gegen Ende zu singen. Beim Interviewtermin mit Radio 3FACH jammerten sie noch über den irrelangen Anfahrtsweg, den sie hinter sich haben. Von allfälliger Müdigkeit oder Anzeichen für Thrombosen war während des Konzerts indes überhaupt nichts zu bemerken. Die belgischen Newcomer, gerade mit neuem Album «Rats» unterwegs, können schon auf ein beachtliches Repertoire an Hits (und ebenso beachtlicher Luzerner Fangemeinde) zurückblicken.  Leadsänger Maarten Devoldere, der seine Gitarre in seltsamer Höhe im Anschlag hatte, zog mittels seiner klangvollen Stimme die Gunst des Publikums im Nullkommanichts auf seine Seite und konnte daher beim letzten Song mit der Refrainzeile «Raise your Glass» auf tatkräftige Unterstützung der Besucherinnen und Besucher bauen.