Curare: sorgen, sich kümmern, (etwas) warten, pflegen, verwalten, befehligen, (Kranke) behandeln, kurieren, (Geld) besorgen, herbeischaffen, auszahlen

Dank der Mittsommerbasis 2009, dem GastkuratorInnenporjekt des sic! Raum für Kunst, erhielten wir Kuratoriumsanfängerinnen, Irja Böhm und Alessa Panayiotou, eine Plattform, um unsere erste Ausstellung zu entwickeln und auszuführen. Gestern war Vernissage und seien wir ehrlich – die Nervosität blieb nicht aus. Spätestens als sich aber die Wolken lichteten und aus dem verregneten Tag ein lauer Abend wurde, die ersten Gäste mit zufriedenen Gesichtern das Schaufenster-Kunstzimmerchen verliessen und die zahlreich extra aus Bern (vier Fünftel der Beteiligten studieren in der Hauptstadt) angereisten Besucher versicherten, der Weg habe sich gelohnt, machte sich Erleichterung breit.

(Von Alessa Panayiotou)

Unser Ausstellungskonzept basiert auf der Grundlage, dass dem Künstler, der Künstlerin als Gestaltenden a priori die Fähigkeit zugesprochen wird, Oberflächen zu formen, Images, im wortwörtlichen Sinne, zu verändern. Die Ausstellung The Shape of Things oder der Künstler als Former von Oberflächen thematisiert die Veränderung der Oberfläche des Menschen und beleuchtet dessen Formbarkeit – als künstlerischer Akt – von verschiedenen Seiten. Die Oberfläche des Menschen wird als gestaltbare Grösse, als Arbeitsfläche angesehen. The Shape of Things zeigt verschiedene Stufen des künstlerischen «design of surface». Bereits in den grundlegendsten portraitierenden Praktiken wird die Rezeption der Objekte via Umformung beeinflusst – die Erscheinung wird zum Erscheinungsbild; nicht von ungefähr enthält der zweite Wortteil einen eindeutig künstlerischen Terminus. Der Künstler, die Künstlerin kann diesen Prozess immer weiter steigern und vom Gestalter zum Schöpfer von Formen werden.

Gezeigt werden sollte diese Imagegenerierung anhand der Menschen der Baselstrasse. Ist Luzern per se mit starken visuellen Klischees behaftet, sollten Erscheinungsbilder des Quartiers und seiner Protagonisten künstlerisch hinterfragt werden. Der Raum für Kunst sic! befindet sich mitten in besagter Strasse.

Einen ersten Schritt der Formung durch den Künstler zeigen die vermeintlich objektiven Fotographien von Fabian Biasio. In der Manier eines Fashionbloggers oder Stylehunters, repräsentiert beispielsweise durch die beliebte Rubrik Streetstyle von «Blick am Abend», wird die Erscheinung der Menschen des Quartiers festgehalten. Allerdings wird bereits hier unsere Betrachtung suggestiv durch den Künstler gelenkt: Er formt und verändert die Portraitierten durch Ausleuchtung, Wahl des Bildausschnittes, des Hintergrundes aus einer Menge gleichen Sujets.

Grundlage der malerischen Arbeiten von Lea Krebs und Marinka Limat sind Videoaufnahmen von Passanten der Baselstrasse. Ungefähr 40 Personen konnten wir dazu überreden, sich zwei Minuten still vor dem sic!-Raum zu positionieren und frontal in die beiden Kameralinsen zu blicken. Diese Aufnahmen, Erscheinungen transformierten die Künstlerinnen in das Medium Malerei, was per se einschneidende Veränderungen, Wandlungen nach sich zieht. Hinzu kommt der persönliche Stil der jeweiligen Künstlerin und das, was gemeinhin gerne mit dem Terminus «künstlerische Freiheit» umschrieben wird. Durch die zeitweise Überschneidung der Sujets wird im Vergleich deutlich, wie different das Äussere ein und derselben Person geformt, dargestellt werden kann. Durch das gleichzeitige Zeigen der Videoaufnahmen und der Malerei ergibt sich ein Vorher-Nachher-Effekt, bekannt auch aus Umstyling-Formaten wie in der Frauenzeitschrift «Annabelle». Wichtig anzumerken ist, dass die Arbeiten von Marinka und Lea nicht im Atelier entstanden, sondern vor Ort, im Kunstraum selbst. Die Verbindung zur Strasse und die Interaktion mit den Bewohnern wurde dadurch verstärkt: Eine Woche lang wurde in der Baselstrasse gelebt, kam es immer wieder zu Begegnungen mit den Portraitierten.

Gross war deshalb die Freude darüber, dass auch Baselsträssler zur Vernissage erschienen und sich darüber unterhielten, welche der gezeigten, zu Kunstwerken gewordenen Personen, bei ihnen im Haus wohnt oder gerne in ihrem Lokal einen Espresso bestellt.

Als letzten Grad künstlerischer Oberflächenformung präsentieren uns die beiden Künstlerinnen eine Büste aus Knetmasse (auch diese Erscheinung wurde benamst und hört auf den klangvollen Namen «Gustav»). Der Gestaltende wird hier, in Anlehnung an den antiken Mythos des Prometheus, der den Menschen aus Ton formte, zum Schöpfer, der ohne Vorlage schafft. Der Betrachter wird dazu angehalten, sich an der Kreation der Oberfläche zu beteiligen und selber zum Formenden zu werden – eine Tätigkeit, die allzu fremd uns nicht sein sollte: Formen wir doch unentwegt an unserem Aussehen/Auftreten, und bei gegebenem Anlass an dem anderer. Konsequent wurde deshalb durch die Besucher auch geknetet, was die Hände hergaben: Gustav entwickelte sich an einem Abend vom freundlich blickenden Mittdreissiger über einen Hippie  in einen bebrillten Streber bis hin zum obligaten Iro-Punk mit Kippe im Mund. Mitmachkunst ist zu Unrecht verschrien.

Müde, aber glücklich schliesst man also um halb zehn die Türe ab, hofft, darauf, dass die Ausstellung wirklich gut ankam und wundert sich über den Zufall, dass sich die beiden Malerinnen während der Fertigung ihrer Werke ausgerechnet mit Michael-Jackson-Songs berieseln liessen...

Die Ausstellung The Shape of Things oder der Künstler als Former von Oberflächen läuft noch bis 18. Juli, jeweils Samstags 14 bis 17 Uhr im sic! Raum für Kunst.