Choreographie des Absurden

Maskenliebhabersaal Luzern, 02.04.2014: 20 Jahre Theater Aeternam. Anlass für eine Feier? Und wie. Mit «Hier und Jetzt» von Roland Schimmelpfennig zelebriert die Theatergruppe schwer zu fassendes Erzählen, mal grossartig absurd, mal in trashigen Klamauk mündend. Immer aber hellwach.

Eine lange Tafel mit Gästen einer Hochzeit. Man frisst, reicht sich den Wein, das Brot, schenkt die kalt gewordene Suppe ein. Georg (Patric Gehrig) heiratet Katja (Franziska Bachmann). Der selbsternannte Frauenheld Martin (Marco Sieber), Katjas zukünftige Affäre, ist auch anwesend, genauso wie die Geschehnisse vor und nach der Hochzeit latent im Raum stehen. Denn was kulinarisch-gediegen beginnt, wird bald zu einem fremdartigen Sprachspiel, wo – aneinander vorbei und trotzdem zusammen – geredet, gequasselt, gesoffen und gesungen wird. Roland Schimmelpfennigs Stück hinterfragt die Vorrangstellung von Chronologie, indem eine banale Alltäglichkeit, der besagte Ehebruch, bruchstückhaft und mehrperspektivisch bestritten wird. 2008 uraufgeführt am Zürcher Schauspielhaus, inszeniert Ursula Hildebrand nun für Luzern (in einer Ko-Produktion mit den sonah theater produktionen, die von Hildebrand selber geleitet werden). Gestern feierte das Stück im Maskenliebhabersaal Luzern (Süesswinkel 7), passend zur Szenerie, Premiere.

Wie lässt sich die narrative Zerstreutheit eines solchen Stoffs zum Ausdruck bringen, ohne das Publikum zu langweilen? Es wird immer wieder dasselbe erzählt, einmal als Kommentar, als Geschichte, im Gespräch, die beschriebenen Ereignisse docken beim Zuschauer irgendwann an, werden zu einem Ganzen; bis dieses wieder zerfällt, durch erneute Wiederholung des Textes zunichte gemacht wird. Man spürt die Höchstkonzentration bei den Spielern, die das Fragmentarische spielerisch auffangen müssen, spürt, dass dieses sprachliche Chaos jeweils minutiöses Timing erfordert. Das ganze Ensemble zieht heute an einem Strang, herausfordernde Anschlüsse, die mit dieser Pluralität von sprachlichen wie emotionalen Wechseln einhergehen, werden mit Bravour gemeistert. Skurille Eskapaden wie männische Saufgesänge oder ein metaphorischer Hahnenkampf mit riesigen Holzschwertern entzücken dabei durchweg und bleiben glaubwürdig dank der unerschöpflichen körperlichen Energie seitens der Spieler.

Die Frau mit Kinderwagen (Irene Wespi) bietet dabei Halt in dieser ansonsten schwindelerregenden Antistruktur. Immer wieder fragt sie ihren Säugling: «Na, was sagst du?» Zentral so auch das Element der Wiederholung, Hauptquelle der bisweilen klamaukigen Absurdität. Bis Mathias Ott der Kragen platzt: «Das Kind sagt nichts, wie auch, wie soll es auch!» Schallendes Gelächter. Auch die musikalische Einschübe sind unterhaltsam gemacht, ein dissonantes Solo der etwas überspielt betrunken agierenden Carmen Keiser sorgt ebenso für Lacher wie das ausgelassene Getröte und Getanze zu Klavier-Ska-Punk. Das Bühnenbild kontrastiert mit aufgestapelten, drögen Kartonschachteln im Hintergrund das labernde Feiervolk. Unterstreicht aber gleichzeitig die konsequente Zeitlosigkeit der Inszenierung: Sind das bald benutzte Umzugsschachteln oder verbergen sich weitere, bereits vergessene, aber immer mitgetragene Konflikte in den unscheinbaren Schachteln? Ein gelungener Theaterabend, der viel Wachsamkeit vom Zuschauer fordert, diese jedoch mit einer unterhaltsamen Packung Absurdität sowie klug gelöster Anti-Narrativität belohnt.  

Weitere Aufführungen: 4, 5., 6., 9., 10., 11., 12., 13., 16., 17. und 19. April 2014, jeweils um 20 Uhr im Saal der Maskenliebhaber Luzern (Süesswinkel 7) Regie: Ursula Hildebrand Regieassistenz: Daniel Schellenberg Spiel: Andrea Amstutz Frei, Franziska Bachmann Pfister, Christoph Fellmann, Patric Gehrig, Jörg Gilli, Carmen Keiser, Mathias Ott, Marco Sieber, Eva Tresch, Irene Wespi Musik: Peter Estermann Ausstattung: Birgit Künzler Maske: Dorothea Stich Licht: Martin Brun, Fish&Light GmbH Bühne/Technik: Martin Finsterle Grafik: Erich Brechbühl, Mixer Luzern Co-Produktion: sonah theater produktionen & Theater Aeternam