Chansons, Charme und Jean

Südpol, Kriens, 17.04.2019: Canaille du jour & Les Maisonettes schieben ihren neuen Karren von Ort zu Ort. Im Gepäck die Erstvertonung eines verschollenen Gedichtzyklus. Eine charmante Musikrevue zum Schwelgen und Schunkeln.

 

Fotos: Patrick Blank

 

Leer ist die Bühne, ein Niemandsland. Nur Max Christian Graeff schreitet darauf umher, macht Markierungen auf den Boden, bläst in sein Horn. Hastig wird ein überladener Karren reingeschoben, ausgeladen, die Truppe greift nach ihren Instrumenten, ein Rednerpult wird aufgestellt, und Graeff beginnt mit der Geschichte von Johann Ohneland.

 

Die Truppe auf der Bühne ist Canaille du jour & Les Maisonettes. Erstere ein Musikduo und die Köpfe des Projektes, bestehend aus Max Christian Graeff (Stimme) und Christov Rolla (p). Zweitere ihre Begleitband, bestehend aus Noemi Hess (vio), Niklaus Mäder (bcl) und Marc Unternährer (tba).

 

Im Rahmen des Kulturprojektes der Albert Koechlin Stiftung zum Thema «Die andere Zeit» bringen Canaille du jour & Les Maisonettes ein vergessenes Stück Literatur auf die Bühne. «Jean sans Terre – Lieder vom Hans ohne Land», angelehnt an den Gedichtzyklus des 1950 verstorbenen Dichters Yvan Goll, der erst 1957 posthum erschien. Es geht darin um eben diesen Jean, oder Johann, Hans, Hanna, Juan, ja eigentlich um jeden, der sich von der Welt, von der Zeit, vom Leben getrieben fühlt, der flieht, Zuflucht sucht in der Hoffnung. Um jede, die an das Gute im Menschen glauben will, jeden aufrichtigen Pazifisten. Heimatlos zieht es ihn, oder sie, oder wen auch immer, um die Welt. Es geht um die Freiheit von der, zumindest empfundenen, Künstlichkeit des Staatenkonzeptes, und um den Schmerz des wahren Weltbürgers, was auch immer das genau sein mag. Für die Musikrevue wurden die Texte Golls dabei zum ersten Mal vertont und angepasst, wobei manche Stellen ganz frei interpretiert und andere so, wie sie dastehen, übernommen wurden.

JeanSansTerre

Mit viel Flair und Charme schwatzt und singt sich die Musiktruppe durch das Stück. Zum Schunkeln anregende Chansons wechseln sich ab mit herzzerreissenden Balladen, nachdenklichen Monologen und amüsanten Einlagen. Die fünf Menschen auf der Bühne schaffen es, einen vergessen zu lassen, dass man gar nicht unter freiem Himmel sitzt, so einnehmend ist das Gefühl, das sie vermitteln. Man hört einer fahrenden Truppe zu, die irgendwo auf irgendeinem Dorfplatz aus dem Nichts aufgetaucht ist und erzählt – so locker, so spontan, so ehrlich. Die Aufführung macht Lust darauf, in Golls Zyklus zu stöbern. Umso enttäuschender ist es zu erfahren, dass dieser vergriffen und keine Neuauflage geplant ist. Man sollte der mündlichen Überlieferung also noch genauer zuhören

 

In den Liedern vom Hans ohne Land schwingt das Echo eines von Golls Zeitgenossen mit. Es erinnert an einen Satz von Peter Panter (eines von Kurt Tucholskys Pseudonymen) aus dem Jahr 1924: «Man ist in Europa einmal Staatsbürger und zweiundzwanzigmal Ausländer. Wer weise ist: dreiundzwanzigmal.»

 

Und dann hat Graeff zu Ende erzählt. Die Band hat den Karren wieder beladen. Die Truppe zieht davon. Vielleicht ins nächste Land. Nicht, dass das wirklich eine grosse Rolle spielen sollte.

 

Canaille du jour & Les Maisonettes: Jean sans Terre – Lieder vom Hans ohne Land

DO 18. April, 20.00 Uhr

Südpol

SA 20. April, 20.15 Uhr

Kellertheater Bremgarten

MI 8. Mai, 20.00 Uhr

Lit.z Literaturhaus Zentralschweiz, Stans

FR 10. Mai, 20.00 Uhr

Altes Spritzenhaus, Sarnen

 

Musik und Spiel: Max Christian Graeff, Christov Rolla, Noemi Hess, Niklaus Mäder, Marc Unternährer

Kompositionen: Christov Rolla

Texte und Textbearbeitung: Christov Rolla, Max Christian Graeff

Dramaturgie, Produktion: Max Christian Graeff