Bum zagga zagga bum! – Die Freestyle Superstars in der Bar 59

Die Freestyle Superstars Jürg Halter, Julian Sartorius und Fredy Studer debütierten am Mittwochabend in der Bar 59. Bilanziert wird durchzogen. Positiv durchzogen.

(Von Sam Pirelli und Pablo Haller)

Einleitung von Haller: Es gibt improvisierten Tanz. Es gibt improvisiertes Theater. Es gibt improvisierte Musik. Es gibt gar improvisierte Texte. In Spielarten des Hiphop, wie dem Battle-Rap beispielsweise, geziemt sich der freie Stil. Dass man am heutigen Abend nicht mit Hiphop, sondern mit handfester Lyrik eines «melancholischen Schrotthändlers» (NZZ) rechnen darf/muss, zeigt der Umstand, dass die intellektuelle Diva unter den Schweizer Värslimachern, Kutti MC unter seinem «Pseudonym» Jürg Halter auftreten wird. Improvisierte Lyrik. Ein Novum? Mitnichten! Vorallem im arabischen Raum gibt es eine lange Tradition von improvisierter Lyrik (siehe hier), auch der Battle-Rap ist dort eine seit vorislamischen Zeiten etablierte Form. Er verkehrt unter dem Namen Kassida – ein Sammelbegriff für arabische Gedichte, die Metrum befolgen – und wird verwendet, um andere Stämme zu dissen. Doch zum Puls der Zeit. Die Improvisation ist der Triumph der formbaren, diffusen Gegenwart, des Aufbruchs in die Vergänglichkeit des (Cyber-)Nomadentums über das konservierende Sesselkleben seit der Neolithischen Revolution, den Archivwahn des 20. Jahrhunderts. Auf der Bühne stehen mit Jürg Halter die «beiden wichtigsten Schlagzeuger ihrer jeweiligen Generation» (Ankündigung). Julian Sartorius (mit dem er bereits das eine oder andere Projekt am Start hatte, u.a. Südpol-Eröffnung und der momentan in der Band von Heidi Happy oder Sophie Hunger – was irgendwie aufs selbe rauskommt – trommelt). Der Zweite im Bunde ist Fredy Studer, und der benötigt hierzulande weder Klammern, die mit Bands, in denen er wirkte, gefüllt sind, noch sonst eine Ergänzung. He’s the One and Only. Die etwas gar vollmundige Vorschau schreibt von einer «exklusiven Weltpremiere» und davon, dass «nicht zuletzt auch das Publikum Einfluss nehmen könne» auf den Verlauf der Veranstaltung. Schon wieder so was Interaktives. Früher wurde das Publikum wenigstens noch ordentlich beschimpft, wenn es meinte, einem Meister in die Kunst pfuschen zu müssen (Siehe hier.)

Kommentar Pirelli: Läck, ist der Haller aber ein intellektuelles Bürschlein. Moubotz.

Das Geschehen an sich: Studer und Sartorius eröffnen das Spiel mit immer lauter werdendem Ridegewitter, Halter steht auf der Bühne in seiner Uniform, schwarz wie immer, mit Cap, den Kopf andächtig gesenkt. Er beginnt mit einem vielversprechenden Intro, das jedoch schnell eines schmerzlich aufzeigt: Mit dem Stiller-Has-Feature «König» hat er seinen Zenit erreicht. Der Gipfelwein ist gesoffen. Der Kopf ist sturm. Der Abstieg beginnt. (Und diese «Ich bin der lustige Spasti»-Attitüde verleidet mit der Zeit auch.) -> Dies zumindest findet Haller. Der Pirelli sieht es nicht so, er kennt den Kutti aber auch nicht wirklich. Was der für ein Hirn haben muss! Diese ausufernden, frei assoziierenden Geschichten! Hei, ist der schnell! Gleichwohl geht das Konzept nicht ganz auf, doch davon später mehr.

Haller: Wo verläuft die Grenze zwischen Poesie, Rap und Stand-up-Comedy? Wo endet sie? Wo verschmelzen die Genres? In Halters Synapsen, maybe. Die Schlagzeuger halten sich dezent im Hintergrund, als uns der MC zeigt, dass er in letzter Zeit fleissig Zeitung gelesen hat und auf der richtigen politischen Seite steht. (Ist das jetzt Ironie oder bereits Zynismus?) Etwas öd und vorhersehbar bleibt's trotzdem (findet Haller). Und als Fredy Studer – der wohl bei Gott an keinem Abend so lang hintereinander brav Viervierteltakte spielte – aus dem vorgesteckten, durchaus sinnigen und stimmigen Old-School-Hiphop-Rahmen ausbrechen will, Sartorius ihm nachzieht und das Ganze tatsächlich spannend zu werden droht, stoppt Halter den Exzess. «So hab ich mir das nicht vorgestellt. Ihr Musiker wollt doch bloss eure Skills zeigen.» Doch worum geht es denn in der improvisierten Musik, wenn nicht darum, seine Skills zu zeigen? Und Skills haben diese beiden Drummer! Oder hätten. Denn für diese Vierviertel, um Halters Stimme zu untermalen, mit der ER seine Asse ausspielt, hätte es nicht dieser begnadeten Schlagwerker bedurft.

Pirelli: Ja, es geht immer darum, Skills zu zeigen. Manchmal fast zu sehr! «Schau mal, was ich alles kann! Und was für neue Truckli und Kistli ich habe, mit denen ich sooo lustige Effekte machen kann!» Das freut einen tatsächlich nicht immer. Doch zur erwähnten Unschärfe im Konzept: Eigentlich ist der Ansatz innovativ. Wenn sonst in der Impromusik die Stimme als Instrument eingesetzt wird, ist sie hier nur Medium für den Text. Halter singt nicht, er spricht. Und zuweilen gelingt es ihm ganz gut, Stimmungen, die die Drummer vorgeben, in Text umzuwandeln; so donnert er eine scharfe Tirade, die er sogleich abbricht und in einen introspektiven Text wandelt, als die Drums leise werden. Mehrheitlich aber brechen die Rap-Wurzeln durch, und die Schlagzeuger haben sich funky dem Viervierteldiktat zu unterwerfen. Dann sind die Instrumente nicht gleichberechtigt: Weil der Text immer verständlich sein muss und eben diese Verständlichkeit die maximale Stimmenverstärkung limitiert, können Studer und Sartorius nicht wirklich aufdrehen. Also verläuft der Abend in vorgegebenem Muster: Vierviertel, Halter mäandriert wild durch Geschichten – die Drums drehen etwas auf, durchbrechen den Rhythmus, Halter macht etwas weiter, verstummt dann aber – die Drums werden leise oder schweigen, Halter bringt einen neuen Assoziationsfaden, wird rhythmisch – die Drums fallen wieder in den Vierviertel. Wie gesagt, der mit der gleichberechtigten Improvisation klappt nicht so ganz. Man würde sich das eher mit einer eingespielten Band vorstellen mögen, die sich dem MC unterordnet, ihn wirklich kennt – das hingegen hat er natürlich schon.

Haller: Man muss Halter zugestehen, dass er temporär lustig, zuweilen höchst geistreich ist. Er hat sogar mich zum Lachen gebracht. Als er eine junge Dame in der ersten Reihe interviewte und einen sehr grenzwertigen Rap über sie und ihrer beiden – fiktive – Beziehung brachte. Oder die Erzählungen der schweren Jugend von Fredy Studer, Julian Sartorius und Jürg Halter – die er just im Moment nach dem ominösen Schlagzeuger-Ausbruch servierte.

Pirelli: Hut ab vor Halter! Mein Hirn hat auch zu Spitzenzeiten nicht so schnell und verlässlich funktioniert, als es noch nicht hektoliterweise Alk und Tonnen von Kiff zu verarbeiten gehabt hatte, die ich brauchte und brauche, um die sich rasend schnell zersetzende Welt halbwegs erträglich zu finden. Als ich Halter, der weder raucht, trinkt noch kifft, fragte, wie er bei seinem scharfen Verstand und seiner generellen Neugier ohne Drogen nicht in tiefste Depression verfalle, verstand er nicht einmal die Frage an sich. Nun denn, gesegnete Jugend.

Haller, Pirelli: Etwas sei angemerkt – der Konzertraum der Bar 59 ist schwierig zu beschallen, weil die Decke so tief hängt, was der Lautstärke enge Grenzen setzt. Tonmeister Markus «Wild Bill Hickup» Stocker hat seinen Job mit Bravour erledigt, was auch bedeutet, dass er leise, (beinahe) lyrische Momente eben leise liess. Weshalb muss dann im Barraum so laute Musik gespielt werden? Frasis Playlist ist ja durchaus ok und vielseitig, aber – hei! – die Tür zum Konzertraum ist nicht isoliert, und gleich neben ihr hängt eine grosse Boxe; also wurden die leisen Parts gnadenlos übertönt. Man kann theoretisch natürlich anspruchsvolle Musik und Texte auf der einen Seite, Rockdisko auf der anderen bringen. Dabei aber wäre es nice, wenn man auch die nötigen Vorkehrungen treffen würde, dass sich die beiden Welten nicht gegenseitig beeinträchtigen. Weil das ist schade. Wenn nun also störte, was übertönte – dann hats also doch irgendwie … gefallen? Die Bilanz ist durchzogen, jedoch durchzogen positiv. Es hat sich gelohnt, irgendwie. Und wenn das Trio ein wenig mehr Routine hätte, der Sturm auf die Bastille einsetzte und die Schlagzeuger gleichberechtigt neben «Chönig» Halter I. stünden, dann wäre das ein interessanter Weg, den die drei Gefährten eingeschlagen haben, der –wer weiss – zu weitern Gipfeln führen könnte ...