Brandstifter auch in Ihrem Haus

Luzerner Wohnung, 17.11.2018: Wie präsentiert man ein 60 jähriges Theaterstück neu? Man versetzt es von der Bühne zu echten Wohnungen in Luzern und lässt die Gastgeber teilhaben. Intim, voyeuristisch, spontan, witzig.

Fotos: Ingo Höhn

 

Personen

Sofia Elena Borsani: mit und ohne Megafon, Souffleuse, Chor, Anna, ein Dienstmädchen

Jakob Leo Stark: Eisenring, ein Kellner

Yves Wüthrich: Schmitz, ein Ringer

Franz von Strolchen: Inszenierung

Gastgeber Z: Herr Biedermann

Gastgeberin Z: Babette, seine Frau

Publikum: bestehend aus circa 50 Personen

null41.ch-Autor

 

 

Vor dem Casino Luzern, Seeseite, Nacht. Dumpf hörbar: Blues aus dem Zelt neben dem Casino.

Das Publikum wartet auf den Beginn der Vorstellung. Der null41.ch-Autor zündet sich eine Zigarette an.

 

NULL41.CH-AUTOR stellvertretend für das anwesende Publikum Ich bin ja schon gespannt, was heute Abend geschehen wird.

Er hält inne und merkt, dass laute innere Monologe nur etwas für Theaterfiguren sind, und nimmt sich vor, nichts mehr zu sagen.

 

Eine Megafonsirene erklingt.

 

BORSANI ruft das Publikum zu sich, um es kurz darauf zum eigentlichen Spielort zu führen. Die Seepromenade entlang, über ampellose Zebrastreifen, Gleise überschreitend, und noch ein Stück hinauf zum Ziel.

 

Dort löscht die Feuerwehr bereits das brennende Dach des Spielortes. Der Rauch verdeckt das Haus zuerst, und geht dann schnell ab.

 

BORSANI bittet das Publikum in die Wohnung. Schuhe und Mantel ausziehen!

 

PUBLIKUM folgt neugierig. Zieht Schuhe und Mantel aus. Versucht seinem Voyeurismus nicht allzu penetrant zu frönen.

 

FRANZ VON STROLCHEN inszeniert «Biedermann und die Brandstifter». Ein Stück von Max Frisch, 1958 uraufgeführt. Ziemlich sicher hat man Frischs «Lehrstück ohne Lehre» in der Schule gelesen. Es ist die Geschichte von Gottlieb Biedermann, der den arbeits- und obdachlosen Ringer Schmitz und später dessen Freund Eisenring bei sich aufnimmt. Beide scheinen offensichtlich gesuchte Brandstifter zu sein. Die Unfähigkeit sich dieser Tatsache zu stellen, die Weigerung, jemanden zu beleidigen, führt langsam aber sicher zum Unausweichlichen. Die Stolperfallen der political correctness, blindes Gutmenschentum, auch nach 60 Jahren ein aktuelles Thema.

 

Von Strolchen führt dabei das Publikum nicht ins Theater, sondern in die Wohnungen Luzerner Bürger. Jedes Mal in eine andere. Diese hatten sich im Vorfeld anmelden können. Bedingung: Die Wohnung muss mindestens 20 Leute aufnehmen können, es soll möglichst nichts verändert werden, und die Gastgeber müssen sich auf das Spiel einlassen. Schnell wurde für alle Aufführungen ein geeigneter Ort gefunden.

Biedermann

Zurück im Haus

 

PUBLIKUM so ganz Barfuss, im Wohnzimmer verteilt, in einer gemeinschaftlichen, intimen Stimmung, beinahe wie bei einem Abend unter alten Freunden.

 

GASTGEBERIN Z und GASTGEBER Z stellen sich kurz vor, und werden prompt zum Mitspielen bewegt.

Sie sind ein wenig überrascht, aber erklären sich dann schnell dazu bereit, die Rollen von Biedermann und Babette zu spielen.

Und das ist der zweite grosse Clou dieser Inszenierung, denn die beiden sind keine Schauspieler und kennen den Text nicht. So muss ihnen dieser immer wieder mehr oder weniger auffällig untergeschoben werden.

 

BORSANI flüstert Gastgeberin Z ins Ohr.

GASTGEBERIN Z spricht nach.

 

WÜTHRICH weist Gastgeber Z auf einen Zettel auf seinem Rücken hin.

 

STARK obenohne, reckt sich und entblösst Text auf der Innenseite seiner Arme.

 

GASTGEBER Z liest von einem Teller ab.

 

PUBLIKUM äusserst amüsiert.

 

Obwohl dieser Effekt spannend und mitunter lustig ist, nimmt er  auch etwas vom Stück weg.

Da es sich bei den Gastgebern nicht um Schauspieler handelt, gehen gewisse Nuancen verständlicherweise verloren. Ein Stück ist immer mehr als reiner Text. Dennoch funktioniert alles fast reibungslos.

 

WÜTHRICH, STARK und BORSANI gleichen alles grossartig aus. Spielen flexibel, reagieren gut. Bringen das Publikum zum Lachen und zum Ekeln.

BiedermannStark

Borsani springt mühelos von ihrer Funktion als Leiterin des Stücks, zu ihrer Rolle als Anna und wieder zurück.

Stark und Wüthrich geben ihren Figuren Eisenring und Schmitz einen wunderbar asozialen Anstrich, und scheinen das aufrichtig zu geniessen.

 

Das Stück endet, und damit auch ein einzigartiges Erlebnis. Etwas, was genau so nie wieder sein wird. Intim, voyeuristisch, witzig, mit einer Botschaft, aber auch mit einem Augenzwinkern. Man fragt sich, was man wohl gesehen hätte, wenn man an einem anderen Abend an die Vorführung gegangen wäre, wie wohl andere Wohnungen aussehen.

 

PUBLIKUM erhebt sich.

 

GASTGEBERIN Z Ihr könnt die Schuhe natürlich wieder anziehen. Das war nur fürs Theater.

 

PUBLIKUM zieht die Schuhe natürlich wieder an.

 

«Biedermann und die Brandstifter» wird weiter in verschiedenen Luzerner Wohnungen aufgeführt, und zwar am 21./23./29. November und am 7./8. Dezember. Weitere Daten  folgen.

Weitere Infos unter: www.luzernertheater.ch/biedermannunddiebrandstifter