Bild, Strobo, Bild, Raus.

Südpol Luzern, 15.04.2015: Soom Project featuring Marygold: «Seid nicht so spiessig!» Eine Tanzperformance über unseren Medienkonsum mit starker Musik und Bildgewalt.

Das erste Mal. Das erste Mal wollte ich rauslaufen. Kotzen. Schreien. Was auch immer. Es war nicht schlecht – keineswegs. Nur war es, was ich nie wollte. Auf der Website vom Südpol steht: «Wir schauen uns alles an, aber wir schauen nicht wirklich hin.» Und dieser Satz, der hätte mich warnen müssen. Ich schaue mir nicht alles an. Ich halte mich bewusst fern. Und gestern, da hab ich alles gesehen. Da muss man wirklich gewarnt sein: MAN WIRD VIELES SEHEN. OB MAN WILL ODER NICHT. So. Und ansonsten? Ein genialer Anfang. Phantastische Musik von den Musikern Philipe Burrell und Patrik Zosso von Marygold. Strobo. Direkt in die Augen. Fieses Gelächter. Fremde Sprachen, bekannte Sprachen, Sprachverzerrungsfilter: Desolé. I’m sorry. Merci. Gracias. Thank you. Und Bilder, Bilder, Bilder, Bilder. Von der Videokünstlerin Michelle Ettlin. Unglaublich schnell zusammengeschnitten, passend zu unserem medialen Konsum. Enten, Menschen, Je suis Charlie, Tote, Massenpanik, Tornados, Kätzchen, gehäutete Schafe, tanzende Frauen. Bildgewaltig ist eine Untertreibung. Auf der Bühne: ein Massaker. Sie ziehen sich an den Haaren. Über den Boden. Erwürgen sich. Fallen übereinander her. Ermorden sich. Vergewaltigen. Lachen. Singen – immer schrecklicher. Die beiden Tänzerinnen Deborah Gassmann und Hyun Jin Kim haben keine Berührungsängste, auf keiner Ebene. Sie haben sich im Dreck gewälzt und uns mit rein gezogen. Sie haben mit Pfeilbogen auf uns gezielt. Sie haben mir Angst gemacht. Und dann haben sie nicht mehr viel gemacht. Oder nicht viel Neues. Sie haben neben den Bilden viel Visuelles geboten, die Kleider und die Beleuchtung waren fein aufeinander abgestimmt und haben starke, kräftige Bilder ergeben. Aber irgendwann – wollte ich mehr Inhalt. Anderer Inhalt. Differenzierteren Inhalt. Die Kehrseite der Medaille. Ich konnte nur an Je suis Charlie erkennen, dass die schnelle Verbreitung von Medien auch Vorteile hat. Mir fehlte eine vielseitige Beleuchtung des Themas. (Obwohl die Bühnenbeleuchtung der Hammer war). Ich habe mich gefragt, ob die Medien wirklich nur so schrecklich sind. Ob wir alle so schrecklich sind. Und ob Kunst das sein muss. Ich wollte immer noch kotzen. (Zur erneuten Betonung: Nicht weil es so schlecht gewesen wäre, sondern wegen den Bildern, vor denen ich mich bis jetzt verstecken konnte).Um das zu vermeiden, habe ich das Publikum angeschaut. Da waren überdurchschnittlich viele Hände vor überdurchschnittlich vielen Mündern. Daran lag es dann auch wohl, dass die Hände so lange brauchten, um zu klatschen. Aber das Performancekollektiv hat ausgeharrt. Und dann langen Applaus geerntet.  

Weitere Aufführungen im Südpol Luzern: DO 16., FR 17. und SA 18. April.