The Beat Goes On & On & On

Eben las er noch in New York an den Feierlichkeiten zu 50 Jahren «Naked Lunch», dem Magnum opus des Beat- und Cut-Up-Literaten William S. Burroughs, schon ist er hier in Luzern, zusammen mit dem Bukowski-Übersetzer und Autor Carl Weissner, sowie dem Schweizer Lyriker und Herausgeber zahlreicher Beat-Schriften, Florian Vetsch. Der von Barfood Poetry angerichtete Donnerstagabend im LaFourmi war ein Erlebnis der Extraklasse.

«Pam! & dem Drecksack die Birne mit der Pumpgun weggeblasen...» Der Auftritt von Florian Vetsch beginnt wie ein Tarantino-Streifen. Hart und unmittelbar. Mit einem Gedicht, das den Namen «Jackie Brown» trägt und die Adressatin auffordert, mal im Parlament, beim Steueramt & den Medienkonzernen aufzuräumen. Eine fabelhafte Idee! Anschliessend servierte Vetsch weitere Leckerbissen aus seinem neusten Werk «dreiundvierzig neue Gedichte», das im Frühjahr beim österreichischen Songdog Verlag erschienen ist. Seine Gedichte sind moderne Haikus. Versatzstücke, Sequenzen, die uns mit unmittelbarer Gegenwart konfrontieren, uns die Brüchigkeit der Realität vorführen. Da er nicht «bloss» Dichter ist, sondern auch ein äusserst umtriebiger Herausgeber - unter anderem «Ploog Tanker. Texte von und zu Jürgen Ploog» und «Tanger Telegramm. Reise durch die Literaturen einer legendären marokkanischen Stadt» - folgten einige Texte, Anekdoten und Erinnerungen an Protagonisten der Beat-Generation. Carl Weissner braucht man nicht mehr vorzustellen. Zusammen mit Jürgen Ploog und Jörg Fauser gab er in den 70-&80ern des letzen Jahrhunderts die Zeitschriften «Gasolin 23» und «Ufo» heraus, machte sich ein Namen als literarischer Übersetzer, vor allem mit Texten von Charles Bukowski, mit dem ihn eine Freundschaft verband. Weissner las zusammen mit der Schauspielerin Anna Böger hörspielreif aus eigenen Texten und Burroughs` Traumtagebuch «My Education». Dabei präsentierten die beiden eine Live-Montage, indem sie die Seiten nicht nacheinander, sondern nebeneinander lasen. Ein weiteres Experiment aus Weissners Hexenküche waren Texte, die er sich eine Zeit lang täglich aus einem McDonald`s Restaurant in New York mailte. Wenn man einen Burger ass, erhielt man einen Code, mit dem man für eine halbe Stunde ins Internet konnte. So entstand unter Zeitdruck aus beliebigen Stimmungen heraus eine eindrückliche Reihe kurzer Texte. Weissners neuster Roman «Death in Paris» wurde auf RealityStudio.org veröffentlicht. Nun zum unbekanntesten der Bekannten, zum Verkannten, dem Piloten und Paria, dem kompromisslosen Herr der Schnitte, der grauen Eminenz des deutschen Undergrounds - über diese Bezeichnung wird er sich heute hoffenlich auch amüsieren können - Jürgen Ploog. Als Brion Gysin 1959 die Cut-up-Methode wiederentdeckte - Gysin sass mit  Burroughs und Harold Norse in einem Pariser Hotel und fiel vor Lachen fast unter den Tisch, als er zwei Zeitungsfetzen auseinandergeschnitten und so arrangiert hatte, dass General Eisenhower plötzlich an der mexikanischen Grenze auftauchte, wo er wegen Prostituiertenmordes festgenommen wurde - begann Ploog soeben als junger Pilot bei der Lufthansa. Er schrieb, doch hatte bis dahin aufgrund des ständigen Kreuz und Quer über den Planeten Jettens noch zu keiner adäquaten Methode gefunden, um kontinuierlich an einem Text arbeiten zu können. Heute Manhattan, morgen Berlin, übermorgen Saigon. Die konstanten Ortswechsel, das verschobene Zeitkontinuum, die Desorientierung und die ständigen Déjà-vus im Leben eines Piloten findet man auch im Cut-Up wieder. Cut-Up ist eine Lebensweise. Reisen ist wichtig, leben nicht. In Cut-Up Texten, die sich nicht an einem Zeit-, sondern an einem Raumkontinuum orientieren, werden Beschreibungen wie eine Person von hier nach da gelangt, als reine Papierverschwendung angesehen. Der Pilot und der Schreiber ergänzen sich in Ploogs Leben perfekt, fliessen ineinander. Im LaFourmi las Jürgen Ploog einen eigens für diese Lesung montierten Text, in dem er die Cut-Up-Methode zu einem Höhepunkt brachte. Die Sperrigkeit der ersten avantgardistischen Collagen legte er ab und ging doch keine Kompromisse ein. Die Figuren und Ereignisse breiteten sich im Raum aus, die einen trafen aufeinander, die anderen funktionierten nebeneinander. Schlussendlich verdichtete sich das Geschehen in einem heftigen Knall. DAS ist Literatur, meine Damen und Herren!

Auch Jürgen Ploog hat ein neues Buch veröffentlicht (Engstler Verlag): «Simulatives Schreiben». Eine Rezension gibt`s hier. Der nächste Event von Barfood Poetry findet am 26.11. im LaFourmi statt. Lesen werden die Bergpoeten Matto Kämpf (Oberland), Achim Parterre (Oberemmental) und Rolf Hermann (Oberwallis).