B-Sides Tag 1: Regen macht schön

Sonnenberg, DO 12.06.2014: Nun ist es wieder soweit; drei Tage Musik auf dem Luzerner Haushügel. Die neunte Ausgabe vom B-Sides Festival verspricht wiederum abwechslungsreiche Acts aus dem In- und Ausland. Insgesamt mehr als 30 Bands und DJs sorgen für einen musikalischen Wirbelwind.

(Fotografien: Silvio Zeder & Mik Matter)

Eigentlich hätte man es sich ja denken können, dass die Regenjacke einzupacken eine gute Idee sein könnte. Aber nein, die Euphorie nach tagelangem Hochsommerwetter war zu gross und der Platz im Rucksack zu gering für regenschutztechnische Utensilien. Wer vor 19 Uhr den Berg erklomm, kam mit trockenen Füssen auf das Festivalgelände und erhaschte die Möglichkeit, sich einen der vielen leeren Quadratmeter vor Jurczok 1001, seines Zeichens Zürcher Spoken Beat Artist, zu schnappen. Herr und Frau Luzern mögen noch bei der Arbeit gesteckt oder genüsslich zu Hause auf den Regen gewartet haben, jedenfalls bitter für einen Act, der als Galionsfigur für werbetechnische Zwecke im Vorfeld an drei Hotspots aufgetreten war. Das Festival Warm Up Programm mit Jurcok 1001 fand im Pavillon Tribschenhorn, Südpol und Alpineum Kaffeehaus Bar statt und generierte womöglich mehr Leute, als zur Eröffnung des eigentlichen Festivals. Aber eben, irgendwer muss der erste sein. Jurczok 1001 nahm es mit Humor und spielte sein kurzes Set locker vom Hocker. Jeder hat es kommen sehen Wie bei einem Déjà-Vu vom letzten Jahr, als mit Sophie Hungers Stimme gleichzeitig die Regenwolken aufkreuzten, nutzten die blaugrauen Biester den Auftritt von Ingrid Lukas zusammen mit Band als Startpunkt für ihre Entleerung.

 

Ingrid Lukas (Fotografie: Silvio Zeder)

Während die Feuerwehr in der Stadt Luzern mit Kellerauspumpen und zu Flüssen mutierten Strassen beschäftigt war, wurden auf dem Festivalgelände wie wild Einwegregenmäntel, gesponsert von Migros Kulturprozent, verteilt und der Gang auf die Toilette bedachtsam gewählt. Die Einweihung der Hauptbühne verfolgten dementsprechend vielen unter den Zelten oder im Gay Café mit. Die aus Estland stammende und mittlerweile in der Schweiz wohnhafte Ingrid Lukas hat sich einem Hauch von Pop mit Jazzunterton verschrieben. Die Songs, estnisch und englisch gesungen, versanken zwar beinahe im Regenschauer, konnten aber die wagemutigsten und bestausgerüstesten Besucher vor die Bühne locken. Es wäre der perfekte Zeitpunkt gewesen, um im Bohemians Welcome Zelt ein paar Zuhörerinnen und Zuhörer abstauben zu können. Aber, und das muss betont werden, trotz miserablem Wetter konnte sich die Stimmung auf einem hohen Niveau behaupten. Die Leute tranken, assen und fachsimpelten über die Vorteile von Gore-Tex und Co. und begutachteten die handgefertigte B-Sides Dekoration, die in diesem Jahr den Anschein machte, kurz vor Festivalbeginn aus einem Raumschiff gefallen zu sein. Die 50 Stutz haben sich doch noch gelohnt Nach unzähligen ungläubigen Blicken in den Himmel, trauten sich die ersten wieder auf das freie Feld zurück. Stellt euch vor, es wäre kein Kiesplatz auf dem Sonnenbergareal… Vier Jungs aus Fribourg machten sich auf, die Stimmung am B-Sides unter der Zeltbühne langsam zum kochen zu bringen. Quasi als Vorband des folgenden Hauptacts boten Pandour eine passende Einstimmung. Luc Bersier und Michael Francey an den Laptops und Turntables als musikalische Vorhut, begleitet im Hintergrund von Adrien Clot und Simon Mozer an Bass und Gitarre.

Pandour (Fotografie Michael Matter)

Eine gehörige Portion elektro-akustische Entschleunigung zwischen Deep House und Ambient, die in einem kleinen Klub wohl Legendenpotenzial entwickeln könnte, als Vorbereitung auf den Höhepunkt des Abends. Während im Sambaland die Gastgeber aus Brasilien die Kroaten besiegten, haut man sich noch schnell etwas zwischen die Zähne und spurtet trotz Dauerregen (man hat ja jetzt einen Plastikmantel ergattert) vor die Hauptbühne. Eine Menschenmenge, bestehend aus rund 800 bis 1000 Leuten, freute sich auf den ersten Auftritt nach längerer Bühnenabstinenz des Kanadiers Daniel Victor Snaith, alias Caribou und seiner Band.

Caribou (Fotografie: Silvio Zeder)

Während der einstündigen Bühnenshow gab es einen spielerischen Mix aus Synthie-Pop, futuristischem Indie und irgendetwas aus dem Hip Hop Bereich und einem Schuss Psychodelic. Auf jeden Fall abwechslungsreich, tanzbar und mit viel Jubel goutiert. Und wenn wir ehrlich sind, die meisten haben auf seine beiden Ohrwürmer Odessa und Sun gewartet.

Caribou (Fotografie: Silvio Zeder)

Und die Erwartungen erfüllten sich mit einer gewissen Situationskomik, während man Sun mitträllert und die Regentropfen einem auf die Nase klimpern. Und einen schweren Tropfen gab es dann trotzdem noch, nämlich einer aus Wehmut über die ausgebliebene Zugabe von Caribou... So versammelte man sich beim Amerikaner Daniel Bachman und wartete gespannt auf ein DJ-Set oder superschnellen Hip-Hop. Aber hallo? Nein, nichts da. Würde man das Programmheft genauer studieren, steht da geschrieben, dass er einerseits Schweizer Vorfahren hat andererseits und ein Virtuose an Saiteninstrumenten ist. Aha. Und tatsächlich überraschte der wortkarge Mittezwanziger mit feinstem Gitarrenspiel im Stile von Blues, Folk und Americana. So geschah es, dass Erinnerungen an eine nordamerikanische Landstrasse und Häuser mit Veranda aufkamen und den ersten B-Sides Abend sanftmütig ausklingen liessen. Leider auf Kosten der DJs Maft Sai & Chris Menist. Sorry Jungs! Weiter geht es heute Abend kurz vor 19 Uhr mit den Pink Mountaintops, Peter Kernel, Buvette, Suchas, Portugal. The Man, The Paradise Bangkok Molam International Band. Viel Vergnügen!