Ausgesetzt

Benzeholz – Raum für zeitgenössische Kunst, 13.03.2020: «Exposed» hiess die Ausstellung von Stephanie Hess. Ausgesetzt war man ihren Masken. Doch ausgesetzt war man auch der unsichtbaren Gefahr. Und ausgesetzt wurde mittlerweile die Ausstellung. Eine Erinnerung und virtuelle Führung durch das Benzeholz.

An einem lauen Frühlingsabend gehst du nach Meggen ins «Benzeholz - Raum für zeitgenössische Kunst». Zu diesem Zeitpunkt weisst du noch nicht, dass die Ausstellung «Stephanie Hess - Exposed» für unabsehbare Zeit die letzte gewesen sein wird, die du besuchen wirst.

Im Zentrum der ersten grossen Einzelausstellung der Innerschweizer Künstlerin steht die Maske. Die verbirgt, indem sie offenbart und offenbart, indem sie verbirgt. Doch an diesem Abend denkt niemand an Masken zur Vermummung. Auch nicht an Fasnachtsmasken zur Verwandlung. Sondern an Schutzmasken, wie die Schnabelmasken der Pestdoktoren, die am venezianischen Karneval durch die Gassen wandeln.

Gabe und Gegengabe

Als du den Kunstraum betrittst, ist die Corona-Pandemie das alles beherrschende Gesprächsthema. Bis du dazu aufgefordert wirst, deinen Mantel dem «Fortune Dancer, 2020» abzugeben. Der Performer Christoph Cachelin, in adrettem Frack, nimmt ihn mit Samthandschuhen entgegen und überreicht dir eine metallene Marke, in die ein mysteriöses Symbol eingraviert ist.

«Fortune Dancer, 2020» mit Christoph Cachelin
«Fortune Dancer, 2020» mit Christoph Cachelin

Die Performance selbst ist ein Symbol. Für die Gabe und Gegengabe. Der Vertrag für Kult, Kunst und Magie, der den Alltag in Ausseralltägliches verwandelt. Der performative Akt des Versprechens und Vertrauens, der von der gegenseitigen Erwartung lebt. Aber auch von der Ungewissheit. Es braucht schon Hingabe, um als Kandidat*in für die Göttin Fortuna würdig zu sein.

Deine Reaktion entlarvt dich: Setzt du die Maske auf oder lässt du sie fallen? Spielst du mit und nimmst du deine Rolle ein oder nimmst du das Spiel bloss hin und betrachtest es aus der kühlen Distanz?

Tanz der Gespenster

Du gehst die Treppen hoch ins dunkle Dachgeschoss, wo dir riesige weisse «Fratzen 1-4, 2020» begegnen. Still schreiende Gespenster. Luminiszierende Schichten der Haut, die aus opak aufgetragenem Silikon auf grossen Tüchern aus Tüll bestehen. Tüll und weisse Maske – eine Reminiszenz der Künstlerin an ihre Zeit als Ballerina.

«Fratzen 1-4, 2020» aus Tüll und Silikon
«Fratzen 1-4, 2020» aus Tüll und Silikon

Nach deinem faszinierten Schrecken wendet sich dein Blick zum Video «Etüden, 2020». Alltägliche Szenerien, in denen dir eine einsame und geschlechtslos wirkende Figur gegenübersteht. Eine übergrosse und aufs Minimum reduzierte Maske – drei Punkte auf weisser Oberfläche – und schwarzem Körper. Wie ein Kodama, diese Baumgeister aus dem Ghibli-Film «Prinzessin Mononoke», blickt sie dich mit ihrem ausdruckslosen Gesicht an. Und du weisst nicht: Ist sie harmlos oder gefährlich?

Filmstill aus dem Video «Etüden, 2020»
Filmstill aus dem Video «Etüden, 2020»

Die Reduktion der Mimik auf einen einzigen (Nicht-)Ausdruck geht einher mit einer minimalistischen Gestik der Körperglieder. Stillstehend blickt sie dich an, geht sie langsam an dir vorbei, bewegt sie ihre Glieder wie ein Fluginsekt oder trippelt sie wie eine gespenstische Ballerina auf dich zu. Diese unnatürlich-natürlichen Bewegungen der Maske erzeugen eine unheimliche Stimmung.

Die Aufführungspraxis der Maske ist ein ritueller «Tanz», ein szenischer Auftritt. Die Maske im Ritual ist die Aufführung selbst. Die Performanz der Maske überschreitet damit die Disziplingrenze zwischen den darstellenden und bildenden Künsten. Die Maske ist zugleich Darstellung und Bild.

System der Masken

Du gehst eine Treppe runter und befindest dich im Obergeschoss, wo du an den Wänden eng aneinandergereihte Masken siehst. Mit ihren expressiv aufgetragenen Farben sehen die Masken der Serie «Maske 2-38, 2019-20» aus wie «Der Schrei» von Edvard Munch. Dieses zur Maske erstarrte entsetzte Gesicht – Ikone der existenziellen Angst.

«Maske 2-38, 2019-20» aus Styropor, Gips, Acryl, Tempera, Make-up und Nagellack
«Maske 2-38, 2019-20» aus Styropor, Gips, Acryl, Tempera, Make-up und Nagellack

Mit Claude Lévi-Strauss könnte man von einem «System der Masken» sprechen. Die Masken als Teil des schamanistischen Kultes dienten auch der Differenzierung der Kultur. Mit dem Kolonialismus fanden sich die Masken und Fetische als Objekte des sogenannten «Primitivismus» in den Museen Europas versammelt wieder. Deren Ästhetisierung durch den «ethnografischen Surrealismus» oder den «Kubismus» und der «Grossen Abstraktion» verhalfen auch zur «Geburt der Moderne». Kunst als Fortsetzung der Appropriation mit anderen Mitteln.

Ernste Themen, die in der Ausstellung leider im Hintergrund bleiben. Im Vordergrund bleibt das ironische Spiel der Masken.

Doppelte Böden

Während du darüber sinnierst, wirst du dazu aufgefordert dich zu setzen. Gleich beginne die Séance von «Anna Rabica – Exposed». Gebannt hörst du der gravitätischen Rede des Séancen-Leiters zu. Irritiert weichst du den durchdringenden Blicken des Mediums aus, das in Kontakt mit der «Fünften Dimension» steht.

Anna Rabica – Exposed
«Anna Rabica – Exposed» mit Illusionist Christian D. Link, Tänzerin Anna Herrmann und Séancen-Teilnehmerin

Auf seine telepathischen und suggestiven Fragen, die er an eine Anzahl Teilnehmer*innen stellt, folgen ekstatische und kryptische Choreographien des Orakels. Mithilfe von Tarotkarten entschlüsselt er sie und verkündet schliesslich die Antworten auf die geheimen Fragen, die alle Gäste zuvor aufgeschrieben hatten. Und die alle richtig sind. Du bist ein wenig enttäuscht, dass er deine Frage nicht beantwortet hat.

Du blickst in die Gesichter der Gäste, in denen ihre Verblüffung eingeschrieben ist. Mit ihren aufgerissenen Augen und offenen Mündern erinnern sie dich an die ausgestellten Masken. Die Leute klatschen. Schade, dass während der Show das Licht an blieb.

«Anna Rabica – Exposed» mit Illusionist Christian D. Link und Tänzerin Anna Herrmann
«Anna Rabica – Exposed» mit Illusionist Christian D. Link und Tänzerin Anna Herrmann

Die Performance von Stephanie Hess mit dem Illusionisten Christian D. Link und der Tänzerin Anna Herrmann ist ein Reenactment spiritistischer Sitzungen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ihre Blütezeit hatten.

Mit der Entzauberung der Welt ging auch das Begehren nach Wiederverzauberung einher. Die doppelbödige Ironie von Stépanie Hess’ künstlerischer Inszenierung ist, dass mit dem Zauberer an den berühmten Illusionisten Harry Houdini erinnert wird. Der als erklärter Anti-Spiritist es sich zur Aufgabe gemacht hat, die Okkultist*innen als Trickbetrüger*innen zu entlarven. Wer könnte das besser als ein Performer?

Die Masken fallen

Mit dieser Performance im Kunstraum und ihren Masken macht Stephanie Hess auf das Kontinuum von Kult und Kunst aufmerksam. Von Trance und Tanz. Von Magie und Schauspiel. Vom Übernatürlichen des Spirituellen und Ausseralltäglichen der Kunst. Und vom Glauben an die Illusion im Aussetzen des Realen.

Doch am Ende holt dich die Realität ein. Die Masken fallen. Und die angeregten Gespräche aus sicherer Distanz wechseln sich ab mit sorgenvollen Blicken. Auf eine ungewisse Zukunft, der wir alle ausgesetzt sind. Und die kein Orakel vorhersehen kann.