Aus der Zeit gefallen

Luzerner Theater, 26.10.2019: In Zusammenarbeit mit dem Hotel Schweizerhof bringt das Luzerner Theater die Operette «Märchen im Grand Hotel» auf die Bühne. Trotz neuer, auf Luzern gemünzter Rahmenhandlung und hochkarätigem Ensemble vermag das Stück nicht aus sich herauszukommen.

 

Fotos: Ingo Höhn

Tourismus-Stadt Luzern: Die Ströme der An- und Durchreisenden sind den hier Wohnhaften vertraut. Die Gassen von Menschen geflutet, die Brücken praktisch nicht mehr passierbar, das See- und Bergpanorama von Silhouetten mit Kameras und Selfie-Sticks verdeckt und die Hotels entlang der Seepromenade ein längst vergessenes Versprechen einer längst vergessenen Art des Logierens.

Eines dieser Hotels ist das Hotel Schweizerhof, mit dessen Kooperation das neue Stück des Luzerner Theaters «Märchen im Grand Hotel» entstanden ist. Bram Jansen inszeniert das Märchen. Nach «What about Nora» und «Der zerbrochene Krug» führt er zum dritten Mal in Luzern Regie. Die Operette richtet sich nach dem gleichnamigen Stück des ungarisch-deutschen Komponisten Paul Abraham, welches 1933 uraufgeführt wurde. In Jansens Version kommt eine Rahmenhandlung hinzu, die eigens für Luzern konzipiert wurde; Abrahams Märchen wird zum Stück im Stück. Mit Heidi Maria Glössner, die von 1976 bis 1987 im Ensemble des Luzerner Theaters gespielt hatte, besetzt eine Schweizer Schauspielgrösse eine der Hauptrollen. Mit Samuel Streiff, vor allem aus der Serie «Der Bestatter» bekannt, steht ein zweiter Neugier erweckender Name auf der Bühne.

MärchenimGrandHotel

Die Handlung erscheint zunächst komplex: Ein Grand Hotel in Luzern kämpft um‘s Überleben. Billigtourismus und ein genereller Wandel im Reiseverhalten gefährden das prunkvolle Prestige und die Arbeitsplätze der Angestellten. Um das Hotel zu retten, dreht der Hoteldirektor Chamoix (Jason Cox) einen Film, in den Hauptrollen die Angestellten selbst.

Marylou (Tora Augestad) soll als Sounddesignerin im Keller des Hotels die Tonspur aufnehmen. Putzfrau Isabella (Heidi Maria Glössner) spielt im Film eine spanische Prinzessin im Exil, in die sich der Kellner Albert (Samuel Streiff) verliebt. Dieser ist der einzige, der nostalgisch dem verlorengegangenen Glanz nachtrauert – und nicht bloss im Film, sondern auch sonst in Isabella verliebt ist. Während die Hotelangestellten immer wieder für Aufnahmen in den Keller stolpern, laufen im Hintergrund die Verhandlungen mit einem Scheich, der das altehrwürdige Grand Hotel kaufen will.

MärchenimGrandHotel

Auch wenn das nach viel klingt, dauert es lange, bis die Geschichte Fahrt aufnimmt. Der ganzen ersten Hälfte fehlt der Fokus und, was schlimmer ist, die Spannung. Es passiert kaum etwas, was das Stück vorwärtstreibt. Die Rahmenhandlung überstrapaziert das Stück. Die Figuren sind flach, ihre Motivationen nur zu erahnen oder mit der Lektüre des Programmheftes zu verstehen. Das Schauspielensemble spielt die Figuren eindimensional, naiv und nicht einzigartig oder karikiert genug, dass sie mehr als nur optisch voneinander zu unterscheiden wären. Die Logik in den Handlungen der Figuren und deren Folgen ist selten nachvollziehbar und muss achselzuckend akzeptiert werden. Einzig bei Streiff, der den nostalgischen Kellner spielt, spürt man die Figur wirklich. Seine Trauer über die sterbende Ära, sein Kampf mit dem Wandel der Zeit und die unerwiderte Liebe sind immer in seinem Spiel sichtbar.

In der zweiten Hälfte nimmt die Geschichte dann doch mehr Gestalt an und kulminiert in einer grandiosen Szene, in der Film und Theater in einem kreativen und mitreissenden Wechselspiel den Rest der Operette erzählen. Dabei verschwimmen die Grenzen zwischen Stück, Stück-im-Stück und der Realität. Verwirrend, überraschend, anregend. Davon hätte «Märchen im Grand Hotel» mehr vertragen können.

MärchenimGrandHotel

Die Musik trifft dagegen ins Schwarze. Unter der Leitung von William Kelley erklingen Wiener Walzer, Jazz und Foxtrott: eine Beschwörung der Nostalgie. Gepaart mit den durchgehend starken Gesangseinlagen aller Spielenden ist es äusserst stimmungsvoll. Vor allem Glössners und Robert Maszls (der den Chefkoch Andreas spielt) Gesang sind perfekt. Sie katapultieren die Zuhörerschaft direkt in die Dreissiger zurück.

Obwohl die Operette humoristisch gehalten ist und die eine oder andere Situation sicher ein Lachen zu entlocken vermag, sind viele Witze bloss flach. Man kann sich schon darüber amüsieren, wie jemand Mühe beim Treppensteigen hat, herablassend über Karikaturen asiatischer Touristinnen lachen oder es sehr witzig finden, wenn ein Mann die Rolle einer Frau spielen muss und dies mit Fistelstimme tut, aber es ist halt einfach doch sehr simpel. Dem «Märchen im Grand Hotel» fehlt der Biss. In den Dreissigerjahren wäre das alles vielleicht viel lustiger gewesen. Im Jahr 2019 ist es bloss einfallslos.

Märchen im Grand Hotel
Bis FR 13. März 2020
Luzerner Theater

Inszenierung und Konzept: Bram Jansen; Musikalische Leitung: William Kelley; Bühne: Robin Vogel; Kostüme: Ulrike Scheiderer; Choreographie: Ryan Djojokarso; Video: David Röthlisberger; Licht: Marc Hostettler; Sounddesign: Jorg Schellekens; Dramaturgie: Julia Jordà Stoppelhaar

Spiel: Samuel Streiff, Heidi Maria Glössner, Tora Augestad, Jason Cox, Robert Maszl, Vuyani Mlinde, Giulia Bättig, Norma Haller, Chiara Schönfeld, Anna Vogt