Augen zu und Luft anhalten

Südpol, 07.06.2014: Das Programm der ersten Saisonhälfte im Südpol ist vorbei. Als Abschluss gab es ein Grillfest, gepaart mit allerlei musikalischen, performativen und videotechnischen Rahmenbeiträgen und ein gebührendes Finale mit dem deutschen Musikkomponisten Nils Frahm.

Es muss definitiv Leute gegeben haben, die seit 15 Uhr an der Saisonabschlusssauce im Südpol teilgenommen haben. Gemütliches Sitzen in der Abendsonne, verwöhnt werden mit Auftritten von Jurczok 1001 (Präsentiert von B-Sides), TS Sol Bass & Laurin Huber, sowie Werken von Andreas Liebmann oder Beatrice Fleischlin. Was will man mehr. Ausser man hat keine Zeit und ist so vornehm, sich nur die Glanzperle des Abends anzutun: Nils Frahm. Die einzige Veranstaltung, welche an diesem Nachmittag/Abend etwas kostete und zusätzlich einen riesigen Menschenauflauf generierte. Denn mit Nils Frahm beehrte eine internationale Grösse - was die Fingerfertigkeit auf Tasten anbelangt - den Südpol. Warum der Pianist nicht im KKL aufgetreten ist, war schnell klar. Frahm bewegt sich virtuos zwischen DJ, jonglierend mit Elektrobeats, und einem klassischen Pianisten. Dementsprechend erwartete den Besucher eine Mischung aus latenter Clubnacht und Klassikkonzert. Man möchte gar den Begriff der Neoklassik verwenden. Klaviermusik: intim und mainstreamtauglich Die Szenerie auf der Bühne gleicht einer offenen Herzoperation. Drei Tasteninstrumente, nämlich analoges Piano, Elektropiano und ein Flügel*, die jeweils bis in die letzten Winkel verkabelt und mit Mikrophonen ausgestattet sind, machen Nils Frahms Spielwiese aus. Eine Armada an Scheinwerfern generiert eine spärliche Beleuchtung. Der Maestro der Tasten beginnt seinen Auftritt mit einer sanftmütigen Ansprache in Englisch (wollte er kein Deutsch sprechen?) und meinte, gleich ein an Dub orientiertes Amuse-bouche zu spielen. Sehr schön. Dann ertönt eine einzige penetrante Taste und zieht alle im Raum in seinem Bann. Musik muss nicht immer kompliziert sein, denkt man sich. Es folgt eine Komposition für neun Finger. Entstanden aufgrund eines gebrochenen Daumens, entpuppte sich das Stück als einschläferndes Wiegenlied, wo die Lüftung vom Südpol zum fiesen Gegenspieler wurde. Glücklicherweise dauerte das Abfallen des Spannungsbogens nicht allzu lange und Frahm entzückte das Publikum wieder mit elektronischer Avantgarde. Das Wort Klanglandschaft ist eigentlich ziemlich verpönt und wird oftmals als Floskel in einer manierierten Musikrezension verwendet, aber scheint in diesem Falle durchaus zutreffend. Frahm konstruiert äusserst simple wie auch komplexe Kompositionen, die einem das Gefühl geben, die Augen schliessen und die Luft anhalten zu müssen. Er bewegt sich stets hart an der Grenze der Verspieltheit, man erwartet gar ein Rausfallen aus dem Konzept und erhält als Zuhörer teilweise keine Zeit, sich von der Musik zu distanzieren. Die Stücke vermitteln generell eine einlullende Sogwirkung mit Momenten, die an Filmmusik erinnern, dafür nicht ganz auf die Tanzbarkeit setzen. Auf jeden Fall hat Nils Frahm einen unkonventionellen Zugang zur klassischen Klaviermusik und scheut sich nicht, Improvisationen mit kanonischen Kompositionen zu kombinieren oder gar gegeneinander auszuspielen. *die offizielle Bezeichnung auf der Südpolhomepage lautet Solo-Klavier-Set mit einem Juno Synthesizer, Rhodes und Tape-Delay Übrigens, offiziell dauert die Sommerpause im Südpol vom 7. Juli bis 17. August.