Anthropomorphe Bilder des Körpergefühls

Hilfiker Kunstprojekte, 20.05.2015: Auf engstem Raum stellt die Galerie an der Museggstrasse ausgewählte Papierzeichnungen Maria Lassnigs aus. In der gestern eröffneten Ausstellung versammelt sind vornehmlich unbekannte Arbeiten der österreichischen Künstlerin. Dennoch stehen sie dem Duktus Lassnigs in nichts nach: in jeder der grossformatigen Strichzeichnungen ist ihre Handschrift unverkennbar. 

(Von Tiziana Bonetti)

Bilder gibt es Abermilliarden. Aber was ist ein Bild? Oder um anders zu fragen: Wie entstehen Bilder? Mit Bestimmtheit sind Maria Lassnigs Bilder nicht der Absicht geschuldet, die Welt wiederzugeben, wie wir sie mit unseren Augen wahrnehmen. Die letztjährig im Alter von 94 Jahren verstorbene Künstlerin speiste ihre Bilderwelt vielmehr aus der Introspektion, respektive aus der Kommunikation mit ihrem Körper und ihrem Selbst. Wie aber lassen sich ephemere, nichtvisuelle Sinnesreize und wie Gefühle in etwas Visuelles transferieren? Mit ebendieser Übertragung, bei welcher der Körper Dreh- und Angelpunkt der künstlerischen Auseinandersetzung ist, hat sich Lassnig zeitlebens beschäftigt. Ihre malerische Welt erschuf die Künstlerin ausgehend von der leiblichen Wahrnehmung, oftmals in Form von entfremdeten Selbstbildnissen, in der die Empfindungen und Erfahrungen am eigenen Körper verbildlicht sind. Vergegenständlichtes Hundegebell Unter den in der Galerie Hilfiker Kunstprojekte ausgestellten Bleistift-, Kohle- und Kreidezeichnungen Lassnigs finden sich Arbeiten der Künstlerin, die von dieser Auseinandersetzung mit dem eigenen Selbst Zeugnis ablegen. Diesbezüglich als besonders aufschlussreich für die Rezeption erweist sich der jeweils unten rechts und oberhalb der Signatur Lassnigs notierte Titel der Papierzeichnungen. Neben Titeln wie Gesichtsnerven (1990), Unerbittliche Resistenz (1986) oder Meine Höhenschichtenlinien (1990) finden sich auch solche wie Hundegebell im Garten (1983) und Bettwürmer (1986). Die beiden letztgenannten Titel, die nicht der Ironie entbehren, lassen erahnen oder immerhin die Spekulation zu, dass in diesen Zeichnungen das eigene Körpergefühl für Lassnig nicht mehr explizit als Referenzpunkt des bildlichen Gegenstands fungiert hat. Die in die Länge gezogene, rundliche Figur in der Zeichnung Hundegebell im Garten gemahnt weder an einen Hund noch an einen Garten. Stattdessen lassen sich die links und rechts an der Figur befindlichen schwarzen ovalen Schlitze als Öffnungen identifizieren, aus welchen in die Horizontale verlaufende Striche entweichen, die als Abbildungen des akustischen Hundegebells interpretiert werden können. Daraus kann nun zweierlei gefolgert werden: Zum einen hat Maria Lassnig versucht, die akustische Wahrnehmung des Hundegebells qua Strichen zu vergegenständlichen – und damit einen übers Gehör aufgenommenen Reiz ins Visuelle übertragen – und zum anderen das Gebell vom Körper des Hundes abstrahiert. In dieser Arbeit zeigt sich diese Abstraktion darin, dass der merkwürdig geformte Körper mit den zwei Öffnungen nicht mit dem Bild von einem Hund, geschweige denn von einem Tier in Verbindung zu bringen ist. Selbst die beiden Schlitze, aus welchen das Bellen förmlich heraustritt, muten keineswegs mundartig an.

Hundegebell im Garten Lassnig

Eigenwillige Aussenseiterin Der Erfolg war Maria Lassnig nicht von Anbeginn ihrer Karriere vergönnt. Nicht selten stiess die Künstlerin besonders in jungen Jahren mit ihrer Malerei auf Unverständnis. So musste 1943 die damals knapp 25-jährige Studentin die Wiener Akademie der Künste verlassen, weil ihr Lehrer, Wilhelm Dachauer, ihre Werke als «entartet» diskreditierte. Aber auch Ende der sechziger Jahre in New York stiessen Lassnigs Arbeiten auf Ablehnung. Anerkennung wurde der Künstlerin erst in späten Jahren zuteil. Bis 1975 musste sie warten, um das erste Mal mit einem Preis ausgezeichnet zu werden. Fünf Jahre später, 1980 kehrte die Künstlerin aus ihrem USA-Aufenthalt zurück nach Wien und nahm dort eine Professur an der Hochschule für angewandte Kunst an. Dass Maria Lassnigs Arbeiten erst spät Beachtung fanden, hat sicherlich nicht zuletzt damit zu tun, dass sie nirgends recht hineinzupassen schien. Dementsprechend schrieb auch die Kunsthistorikerin Swantje Karich in einem Nachruf an Maria Lassnig für die Frankfurter Allgemeine, die Künstlerin sei eine charismatische, zähe, eigenwillige, sperrige kleine Person gewesen, die, ohne es zu wollen, stets die Rolle der Aussenseiterin gespielt habe. Zwar lässt sich Maria Lassnig in der Nähe von Kunstrichtungen wie dem Informel – hauptsächlich ihr Frühwerk – oder dem Surrealismus ansiedeln, ebenso nimmt sie innerhalb der Konstellation der Wiener Aktionisten einen besonderen Platz ein. Dennoch bleibt sie eine singuläre Persönlichkeit, die sich keiner spezifischen Umgebung zuordnen lässt. Keine Gemälde mit Körpergefühlsfarben, sondern Zeichnungen Die in der Luzerner Galerie ausgestellten Strichzeichnungen Lassnigs stammen aus verschiedenen Schaffensperioden der Künstlerin. Die früheste Arbeit ist eine Akt-Zeichnung aus dem Jahr 1956, die jüngste, betitelt mit Désespoir et brume, ist rund 40 Jahre später entstanden. Einen Grossteil der gezeigten Arbeiten hat Lassnig aber in den späten 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre gefertigt. Allen Zeichnungen gemein ist sowohl die ungezwungene und spontane Linienführung, die auf ein rasches Zeichnen hindeuten könnte, als auch die Betitelung der Zeichnungen, die ihnen eine Narration oder zumindest einen Anhaltspunkt zur Rezeption bietet. Der Reizwert der Bilder aber liegt in den bizarren und zuweilen abgedrehten Titeln, wodurch sie ironisch aufgeladen werden. Der anlässlich zur Ausstellung farblich in Türkis gehaltene Wandanstrich bringt Lassnigs Zeichnungen auf dem weissen Papier gut zur Geltung. Dennoch lässt die schöne Wandfarbe nicht darüber hinwegtäuschen, dass keine Werke Lassnigs ausgestellt sind, in welchen ihre sogenannten «Körpergefühlsfarben» zum Tragen kommen, die für ihre Arbeiten so symptomatisch sind. Aber schliesslich ist die Ausstellung nicht als Hommage an Lassnigs Schmerz- und Fleischfarben-Palette zu verstehen. Sie gewährt eher einen seltenen Einblick in die zeichnerischen Arbeiten der Künstlerin, die wohl in einer ihr gewidmeten Grossausstellung zusammengepfercht, in der abstrakten Farbengewalt untergehen würden; wenn auch nicht ganz zu Recht. Geben doch die Zeichnungen selbst in ihrer einfachen Machart und reduzierten Form- sowie Farbgebung Lassnigs künstlerische Ausdrucksweise wieder.

Maria Lassnig Ausstellung Hilfiker

Die Ausstellung läuft noch bis am 27. Juni 2015.